Theodor Billroth vor 125 Jahren gestorben
Arzt, Forscher, Standespolitiker und Ausbildner für Mediziner: Theodor Billroth (1829-1894) gilt als „Medizin-Gigant“ des 19. Jahrhunderts. Mit seinen zahllosen Aktivitäten wurde er zu den wichtigsten Persönlichkeiten in der Weiterentwicklung der Heilkunde seiner Zeit. Vor 125 Jahren, am 6. Februar 1894, starb er.
1829 wurde Billroth als Sohn eines preußischen Pastors in Bergen auf der Insel Rügen geboren. Am liebsten wäre er Musiker geworden, aber auf Drängen seiner Mutter studierte er Medizin an der Universität Göttingen und promovierte 1852 in Berlin. Ausgedehnte Studienreisen führten ihn schließlich auch nach Wien. Besonders begeistert war er von den Proponenten der Wiener Medizinischen Schule damals nicht. „In der Leichenkammer ist Rokitansky die todteste Leiche“, schrieb er über den „Erfinder“ der klinischen Pathologie.
Wohl bedeutendster Chirurg seiner Zeit
Dann wurde der Arzt in Berlin Assistent, wo er vor allem mit der experimentellen Chirurgie vertraut wurde. 1860 folgte die Ernennung zum Direktor der Chirurgischen Klinik in Zürich, wo er mit der „Allgemeinen chirurgischen Pathologie und Therapie“ (1863) ein Standardwerk verfasste. Als Neuerungen etablierte er etwa bei seinen Patienten die tägliche Messung der Körpertemperatur (Wundfieber).
Billroth, 1867 zum Chef der II. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien berufen, profitierte von den bahnbrechenden medizinischen Entwicklungen seiner Zeit: Mit der Möglichkeit der Narkose wurden erst große Eingriffe ohne Schmerzen möglich, erste Erfahrungen mit der antiseptischen Wundbehandlung mit Karbol senkten die Infektions-und Todesrate der Patienten drastisch.
„Wenig Talent zu dieser halb schlafenden Existenz“
Von Wien und der dort etablierten Medizin-Szene war der Chirurg weiterhin nicht sonderlich beeindruckt. „Wenn ich es hier machen wollte wie die andern, so könnte ich ganz glücklich leben. Leider habe ich wenig Talent zu dieser halb schlafenden Existenz“, schrieb er. Mit Hofräten und anderen Wiener Originalen, die ihn behinderten, kämpfte er ständig.
Zum wohl bedeutendsten Chirurgen seiner Zeit stieg Billroth mit der von ihm durchgeführten ersten teilweisen Entfernung einer Speiseröhre (1871), mit der ersten chirurgischen Kehlkopfentfernung (1873) und schließlich mit der ersten Magenresektion (1881) auf. Die erfolgreiche Entfernung von vor allem tumorbefallenen Organen Krebskranker ließ ihn trotzdem nicht „übermütig“ werden. Die Machtlosigkeit der Medizin in vielen Fällen gestand der Chirurg immer wieder ein. „Sechs Patienten teils mit Bagatellen, teils unheilbar: Lüge, Lüge als Trost“, schilderte er diese Frustration in einem Brief an Johannes Brahms.
1881 erste Magenresektion
Doch es war nicht Billroth allein, der diese chirurgischen Fortschritte gewährleistete: Bereits 1874 hatten seine Assistenten Karl Gussenbauer und Alexander von Winiwarter die Technik zur chirurgischen Entfernung des Magens bzw. Teilen davon experimentell an Hunden entwickelt. Billroth I und Billroth II heißen diese „Schnitte“. Bei dem chirurgischen Verfahren wird der von einem Karzinom befallene Teil des Magens zwischen Magen und Zwölffingerdarm abgetrennt. Dann wird der restliche Teil des Magens in seinem Querschnitt durch Nähte so weit verkleinert, daß er an den Zwölffingerdarm angeschlossen werden kann.
Die erste derartige Operation führte Billroth am 29. Jänner 1881 an der 43-jährigen Therese Heller durch, die seit dreieinhalb Monaten an den Symptomen von Magenkrebs litt. Das Leben hat ihr das nicht gerettet. Die Patientin starb drei Monate später an Lebermetastasen. So „toll“ und wichtig die Entwicklung dieser Technik auch war, trotz der modernsten Behandlungsmöglichkeiten sterben auch noch Ende des 20. Jahrhunderts 70 bis 80 Prozent der operierten Magenkarzinom-Patienten innerhalb von fünf Jahren.
Rastlose Existenz
„Was mir die meiste Freude in meinem reichen Leben gemacht hat, ist die Begründung einer Schule ...“, stellte Theodor Billroth einmal fest. Gussenbauer, Winiwarter, Anton von Eiselsberg, Johann Mikulicz von Radecki (erste Gastroskopie/1881) und Vinzenz Czerny wurden bei ihm ausgebildet und etablierten sich von Wien aus als die „Creme de la Creme“ der Chirurgie in Europa.
„Über 124 vom November 1878 bis Juni 1890 in meiner Klinik und Privatpraxis ausgeführte Resectionen am Magen-Darmcanal, Gastro-Enterostomien und Narbenlosungen wegen chronischer Krankheitsprocesse“Theodor Billroth in: Wiener klinische Wochenschrift 4 (1891), S. 625-628.
Billroth führte eine rastlose Existenz, die ihn zwischen seinem eigentlichen Beruf, seinen verschiedenen anderen Aktivitäten und dem Privatleben hin und her riss. Seine Freundschaft mit Johannes Brahms ist für seine Liebe zur Musik sprichwörtlich. Der Chirurg selbst trat bei den wöchentlichen Musikabenden als Pianist und Bratschist auf. Brahms hat ihm die Streichquartette op. 51 gewidmet.
Gründung von Ärztekammern
Für die Wiener Medizin und die Ärzteschaft insgesamt leistete der Chirurg wichtige standespolitische Arbeiten. So setzte er 1891 die Schaffung der Ärztekammern in der Monarchie durch. Das entsprechende Gesetz wurde am 22. Dezember jenes Jahres im Reichstag verabschiedet und sicherte der Ärzteschaft eine eigene und unabhängige Standesvertretung mit allen Rechten und Pflichten.1876 hatte Billroth bereits den „Rudolfinerverein“ zur Ausbildung von Krankenpflegepersonal gegründet. „Wer anderen hilft, verhilft sich selbst zum Glück“, war der Wahlspruch des Chirurgen.
In Wien dankte ihm das die breite Bevölkerung schließlich aus traurigen Anlässen: Als er im Frühjahr 1887 an einer schweren Lungenentzündung erkrankt war und beim Aufwachen aus der bereits eingetretenen Bewusstlosigkeit den Wunsch nach einer „Sandtorte“ äußerte, ging seine Wohnung am nächsten Tag über vor ihm zugeschickten derartigen Präsenten mit Glückwünschen. Schwer herzkrank wollte sich Billroth im Februar 1894 in Abbazia erholen. Er starb dort im Alter von 65 Jahren.
In seinem 1875 publizierten Buch "Über das Lehren und Lernen der medicinischen Wissenschaften an den Universitäten der Deutschen Nation nebst allgemeinen Bemerkungen über Universitäten. Eine culturhistorische Studie“, polemisierte Billroth gegen jüdische Studierende aus Galizien und Ungarn und befeuerte die antisemitische Debatte. Drei Jahre vor seinem Tod trat Billroth in einer Art radikalen Richtungswechsel dem „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ bei, seine vormaligen Äußerungen blieben jedoch in der NS-Zeit lebendig.