Interview Arzt-Patienten-Kommunikation
Interview Arzt-Patienten-Kommunikation

„Maßgeschneidert statt mit der Gießkanne"

Nicht nur die Medizin befindet sich in rasantem Wandel, auch wie Mediziner mit ihren Patientinnen und Patienten umgehen und sprechen, hat sich um 180 Grad gedreht. Es gilt mittlerweile, eine überbordende Informationsflut – Stichwort Doctor Google – zu handhaben. Und eine Schlüsselposition zwischen Navigator im Teamplay und Expertise ohne Dominanz zu etablieren. Der erste Teil des medinlive-Gesprächs dazu mit der Kommunikationspsychologin Birgit Hladschik-Kermer.

Eva Kaiserseder

medinlive: Patientenzentrierte Medizin ist ja relativ jung. Die Idee, dass Patientinnen und Patienten dem Mediziner auf Augenhöhe begegnet, gibt es noch nicht rasend lange, oder?

Birigit Hladschik-Kermer: Nein, denn jahrhundertelang galten die Mediziner als unwidersprochene Experten dafür, was Patientinnen und Patienten brauchen. Was natürlich eine sehr paternalistische Sichtweise ist. Und die Patientinnen und Patienten hatten diese Empfehlungen ohne Wenn und Aber zu befolgen. Natürlich ging es als oberste Priorität um das Wohl der Patientinnen und Patienten, aber was dieses Wohl überhaupt ist, das bestimmte allein der Mediziner.

Dann hat es begonnen, dass sich das Selbstverständnis der Patientinnen und Patienten geändert hat, sie wurden mündiger, die Informationen wurden zugänglicher. Wenn Patientinnen und Patienten Fragen stellen oder sich heute via Google, wie es natürlich Gang und Gäbe ist, vorab informieren, würde ich allerdings empfehlen, das mitnichten als Kompetenzbeschneidung zu sehen. Eher gilt: Hier ist ein Mensch, dem es um sein eigenes Leben, seine höchstpersönliche Gesundheit, geht. Und was mache ich als Patientin oder Patient in so einer Situation anno 2021? Ich setzte mich zur größten Informationsquelle, die es gibt, dem Internet. Was völlig legitim ist, denn es ist der einfache Versuch, Ängste unter Kontrolle zu bringen, die durch Unsicherheit entstehen. Ärztinnen und Ärzte sollten daher versuchen, das als völlig normalen Zugang zu sehen, nicht als Bedrohung.

Aber zurück zur historischen Entwicklung: Nach dem paternalistischen Zugang wurde schließlich der Wille der Patientin oder des Patienten oberstes Gesetz. Was aber ebenfalls schwierig ist. Hier taucht nämlich oft die Frage „Was kann ich für Sie tun?“ im Arztgespräch auf. Diese Frage ist gut gemeint. Aber ich als Patientin oder Patient habe ja gar nicht die Infos, um zu wissen, was der Mediziner für mich tun kann. Ich weiß allerdings, welche Schmerzen, Ängste und Sorgen ich habe und was ich vorab gelesen habe. Was ich allerdings nicht weiß, ist, ob ich alles richtig verstanden habe an Vorwissen. Die Entscheidung, was passieren soll, können Patientinnen und Patienten also nicht treffen. Und es macht auch keinen Sinn, ihnen alle Infos bis zur letzten schrecklichen Nebenwirkung zu skizzieren. Das funktioniert nicht.  Es sollte daher in Richtung eines partnerschaftlichen Wandels gehen. Und Ärztinnen und Ärzte sollten dabei als Guide und Navigator fungieren. Patientinnen und Patienten kann man dann in diese Entscheidung miteinbeziehen, man kann fragen, was würden Sie sich denn wünschen, was wissen Sie denn schon? Und Ärztinnen und Ärzte sind dann Strukturgeber. An diesem Punkt stehen wir momentan in etwa.

medinlive: Bei der Kommunikation selbst, wie erleben Sie hier genderspezifische Unterschiede?

Hladschik-Kermer: Die Datenlage sagt, dass Ärztinnen länger mit Patientinnen und Patienten sprechen. Ärztinnen adressieren psychosoziale Aspekte mehr, ohne dabei aber auf die biosozialen Aspekte zu vergessen. In der Ausbildung schätzen Studentinnen ihre kommunikative Kompetenz übrigens schlechter ein als die der männlichen, dabei ist ihre Performance oft besser bzw. gleichwertig.  

medinlive: Wenn wir jetzt das Wort Performance erwähnen, was bedeutet das auf der kommunikativen Ebene?

Hladschik-Kermer: Ziel jeder Kommunikation ist, dass sich die Gesprächspartner näherkommen. Patientinnen und Patienten mit allen Bedürfnissen, Sorgen und auch ihrer Expertise zur Erkrankung ernstzunehmen und zu sehen. Das muss sich nicht decken mit der Expertise der Ärztin und des Arztes, aber die Patientinnen und Patienten sind eben Experten für den eigenen Körper und dessen Probleme. Auf der anderen Seite befinden sich Ärztinnen und Ärzte, die aufgrund ihres Expertenwissens und der Anamnese eine Diagnose erstellen und eine Therapie empfehlen. Ziel ist es, gemeinsam einen Behandlungsweg zu finden, der medizinisch vertretbar und von der Patientin oder vom Patienten akzeptierbar und umsetzbar ist. Der Goldstandard ist: Beide sprechen vom selben, beide sind sich einig, was am besten zu tun ist und beide verstehen dasselbe. Da braucht es den Austausch und die Sicherung der Verständigung.

Das Wichtigste ist, zuzuhören, zu Beginn ist daher eine offene Frage wichtig. Und danach sollte die Ärztin oder der Arzt schweigen – und eben zuhören. Ohne offene, hypothesengenerierende Frage wird es schwierig, Antworten zu bekommen. Gute Fragestellungen wären hier etwa: Was ist Ihr Anliegen heute? Was denken Sie dazu? Was ist Ihre Meinung? Was ist bisher geschehen? Die klassischen W-Fragen. Dann geht es im Weiteren darum, die Perspektive der Patientinnen und Patienten auch in die Therapieplanung miteinzubeziehen. Diese Therapieplanung gilt es auch aktiv zu erfragen.

medinlive: Provokant gefragt: Können Ärztinnen und Ärzte das bereits oder gibt es da viel Nachholbedarf und Defizite?

Hladschik-Kermer: Ich glaube, es gibt viel Potential. An der MedUniWien gibt es seit einigen Jahren ein standardisiertes evidenzbasiertes Kommunikationstraining, das alle Studierenden durchlaufen. Von der Anamneseerhebung über die Gesprächsführung in klinisch herausfordernden Situationen, wie beispielsweise der Vermittlung schlechter Nachrichten, bis zur Kommunikation mit depressiven Patientinnen und Patienten entwickeln die Studierenden ihre kommunikativen Fertigkeiten wiederholt in Kleingruppen. Konkrete Gesprächssituationen werden im Rollenspiel mit Schauspielern geübt, die Patientinnen und Patienten darstellen. Wesentliches didaktisches Element ist das konkrete Üben und das strukturierte Feedback durch die Schauspieler und die Peers. Institutionen erkennen generell vermehrt, wie wichtig das Thema ist.

Egal ob Spitäler, Rehas oder Praxen...sie alle lassen ihre Mitarbeiter schulen. Wo auch Luft nach oben ist: Systemische Rahmenbedingungen zu schaffen. Das beginnt schon damit, einen Raum für Gespräche mit Patientinnen und Patienten zu schaffen, etwa im Spital. Oder dass diese Gespräche nicht als Zeitverschwendung gesehen werden, sondern als genauso wichtig wie Gerätemedizin oder Infusionen. Und natürlich geht es auch darum, dass das ärztliche Gespräch honoriert werden muss.

medinlive: Hat sich diesbezüglich schon etwas getan im System Krankenhaus?

Hladschik-Kermer: Momentan ist es natürlich schwierig durch Covid, aber bis zum Beginn der Pandemie gab es viele Trainings. Ich denke, die Wichtigkeit der Kommunikation ist angekommen, soweit ich das die letzten 25 Jahre überblicke, aber am Ziel ist man natürlich noch lange nicht. Wenn Ärztinnen und Ärzte am Vormittag in der Ambulanz pausenlos Patientinnen und Patienten sehen, geht sich das qualitativ schwer aus, dabei bringt patientenzentrierte Kommunikation à la longue sogar eine Zeitersparnis, wie viele Studien zeigen. Warum? Wenn Patientinnen und Patienten nachvollziehen können, was sie haben, warum man welche Therapie anwenden kann, dann ist die Chance größer, dass sie das auch wirklich machen und einhalten. Wenn sie sich stattdessen nicht gut auskennen, weil ihnen etwas zu schnell oder zu wenig genau erklärt wird, dann gibt es ein mehrmaliges Wiederkommen oder einen Wechsel der Ärztin und des Arztes...also alles Dinge, die Zeit kosten.

Ein großes Problem ist auch die Adhärenz (Einhalten von Maßnahmen, Anm. d. Red.). Bei allen „Lifestyleerkrankungen“ wie etwa Diabetes 2 oder auch Dingen wie Bluthochdruck und chronischen Krankheiten geht es ja darum, dass Patientinnen und Patienten den Lebensstil adaptieren und das verlangt ihnen einiges ab. Dabei geht es darum, Patientinnen und Patienten für sich zu gewinnen, zuzuhören, herauszufinden: Wer sitzt denn da eigentlich vor mir? Welches Informationsbedürfnis, welches Kommunikationsbedürfnis hat der denn? Ist das jemand, der schon viele Vorinformationen hat? Wie möchte er miteinbezogen werden? Welche Möglichkeiten hat denn diese Person überhaupt, Therapiemöglichkeiten umzusetzen? Das alles muss ja auch zu einem Menschen passen. Es geht nicht darum, Informationen mit der Gießkanne auszuschütten, sondern das sollte schon ein bisschen maßgeschneidert sein.

Es kostet das Gesundheitssystem sehr viel Zeit und Geld, wenn es hier ein zu großes Kommunikationsdefizit gibt. Denn entweder kommen Patientinnen und Patienten, wie gesagt, immer wieder, gehen zu anderen Ärztinnen oder Ärzten oder die Therapie funktioniert nicht. Wir trainieren Ärztinnen und Ärzte und Studierende auf Gespräche, die maximal zehn Minuten dauern und in diesen zehn Minuten wird alles Relevante angesprochen, von der Diagnosemitteilung bis hin zur Therapie. Wichtig ist auch, sich bewusst zu machen, man muss nicht alles im Erstgespräch lösen. Sondern es geht fürs Erste einmal darum, was ist denn heute unser gemeinsames Ziel?

medinlive: Wie sieht es Ihrem Empfinden nach mit dem Selbstverständnis der Ärztinnen und Ärzte aus, wie wichtig ist das Thema?

Hladschik-Kermer: Genauso wie es die Patientin oder den Patienten nicht gibt, gibt es natürlich auch nicht den Mediziner. Aber was ich in Sachen Selbstverständnis wahrnehme, ist, dass es für jüngere Ärztinnen und Ärzte wenig Zweifel an der Bedeutung der Arzt-Patienten-Kommunikation gibt. Und wir wissen, Ärztinnen und Ärzte leiden natürlich auch, wenn es in der Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten nicht funktioniert. Denn wenn ich als Mediziner den Eindruck habe, ich rede und versuche Informationen zu vermitteln ohne Ergebnis, frustriert das natürlich. Die Struktur und das Handwerkszeug für die gelungene Kommunikation fehlen oft. Es müssen auch die systemischen Bedingungen dafür geschaffen werden, die ein gutes Gespräch ermöglichen. Und Ärztinnen und Ärzte müssen dafür vergütet werden. Traditionellerweise wird die Gerätemedizin aber besser vergütet als Gespräche, Anamneseerhebung usw. Hier ist aber auch ein Wechsel, ausgehend von jüngeren Medizinern, zu erwarten.

Und es ist auch ein ganz anderes Selbstverständnis da, die Ärztinnen und Ärzte sehen sich nicht mehr als Gottheit in Weiß, die alles kann und überall Bescheid weiß. Damit meine ich nicht, dass sich alle älteren Ärztinnen und Ärzte so sehen, vielmehr wurde dieses Bild früher auch von außen sehr stark auf die Mediziner projiziert. Die Kommunikationstrainings werden jedenfalls von den Studierenden als sehr wertvoll wahrgenommen, wie wir aus dem Feedback wissen. Als ich selber jung war, hieß es, Kommunikation und Gesprächsführung kann man nicht lernen. Mittlerweile ist aber angekommen, dass Kommunikation Verhalten ist und wie jede Verhaltensweise besteht es aus unterschiedlichen Kompetenzen, die man selbstverständlich erlernen kann.

Zur Person

Dr. Mag. Birgit Hladschik-Kermer ist klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin, Supervisorin, Master of Medical Education und Kommunikations(lehr)trainerin für den Gesundheitsbereich nach ÖPGK-tEACH Standard. Sie ist als Kommunikationstrainerin und Psychotherapeutin in freier Praxis tätig und leitet die Abteilung für medizinische Psychologie an der Medizinischen Universität Wien. Sie war die erste Psychotherapeutin an der Onkologischen Abteilung im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien und beschäftigt sich seither intensiv mit der Bedeutung der Beziehung in der Arzt-Patienten-Kommunikation. An der Medizinischen Universität Wien ist sie maßgeblich für den evidenzbasierten und verhaltensorientierten Kommunikationsunterricht der Medizinstudierenden verantwortlich.

 

„Die Entscheidung, was passieren soll, können Patientinnen und Patienten (...) nicht treffen. Und es macht auch keinen Sinn, ihnen alle Infos bis zur letzten schrecklichen Nebenwirkung zu skizzieren. Das funktioniert nicht. Es sollte daher in Richtung eines partnerschaftlichen Wandels gehen. Und Ärztinnen und Ärzte sollten dabei als Guide und Navigator fungieren."
Birgit Hladschik-Kermer
Birgit Hladschik-Kermer leitet u.a. die Abteilung für medizinische Psychologie an der Medizinischen Universität Wien.
privat
„Ärztinnen und Ärzte sehen sich nicht mehr als Gottheit in Weiß, die alles kann und überall Bescheid weiß. Damit meine ich nicht, dass sich alle älteren Ärztinnen und Ärzte so sehen, vielmehr wurde dieses Bild früher auch von außen sehr stark auf die Mediziner projiziert."
 
© medinlive | 16.04.2024 | Link: https://www.medinlive.at/gesellschaft/massgeschneidert-statt-mit-der-giesskanne