Medizinhistorische Streifzüge – Folge 5
Medizinhistorische Streifzüge – Folge 5

Altes Universitätsviertel

Welchen Ruf hatten frühere Medizinstudenten, was hatte es mit der Verlegung der anatomischen Präparate auf sich und wer profitierte vom Privileg, mit dem Schwert hingerichtet zu werden? Regelmäßig begibt sich Hans-Peter Petutschnig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin. Dabei gibt es viel zu entdecken, längst Vergangenes, mitunter Skurriles, Schockierendes oder auch Prägendes. In dieser Folge: Das alte Universitätsviertel rund um den Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2.

Hans-Peter Petutschnig

Gemeinhin gilt der 14. Mai 1847 als Gründungstag der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, als die offizielle Genehmigung der Statuten durch Kaiser Ferdinand I. erfolgte. Sitz der Akademie ist seitdem das im Rahmen der Universitätsreformen Maria Theresias 1753 bis 1755 erbaute Aula-Gebäude am heutigen Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2, das 100 Jahre lang auch als Hauptsitz der Wiener Universität diente und vorwiegend die Medizinische und die Juristische Fakultät beherbergte. Im Erdgeschoss befanden sich der Hörsaal für Chirurgie, das erste anatomische Theater Wiens, der Prüfungssaal sowie das chemische Laboratorium.

Nicht immer gestaltete sich das Miteinander von Medizinern und Rechtsgelehrten einfach. Ein Streitpunkt war sicherlich der Keller, in dem die Mediziner ihre Leichen für die Sektionen lagerten, die über einen Aufzug direkt in das anatomische Theater gebracht werden konnten. Quellen belegen, dass der Verwesungsgeruch an warmen Tagen den Juristen durchaus unangenehm war.

Akadmie der Wissenschaften
Sitz der Akademie der Wissenschaften (li.) am heutigen Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2, das 100 Jahre lang auch als Hauptsitz der Wiener Universität diente. Im Erdgeschoss befanden sich der Hörsaal für Chirurgie, das erste anatomische Theater Wiens, der Prüfungssaal sowie das chemische Laboratorium.


© Stefan Seelig

 

Während der Vorlesungen wurden die Straßen rund um das Universitätsviertel mit Ketten abgesperrt, um so eine Störung des Unterrichts zu vermeiden. Im Revolutionsjahr 1848 besetzte das Militär das Gebäude. „Mein Weingeistvorrat labte kriegerische Kehlen“, schrieb etwa der Anatom Josef Hyrtl rückblickend. Die Präparate der anatomischen Sammlung kamen damit in große Gefahr. Damit nicht auch noch der Spiritus der in etwa 2.000 Präparate den durstigen Soldaten zum Opfer fiel, verlegte man die Sammlung rasch ins Josephinum (heute Währinger Straße 25 im 9. Wiener Gemeindebezirk). Nach diversen Umbauten sind Hörsaal sowie Leichenaufzug bedauerlicherweise nicht mehr erkennbar.

Viele berühmte Ärzte der damaligen Zeit sind untrennbar mit der Aula verbunden, wo sie ihre Zeugnisse erhielten. Einer, den man später nur mehr mit der Berggasse, ebenfalls im 9. Wiener Gemeindebezirk, in Verbindung bringen wird, wurde hier 1881 promoviert: Sigmund Freud.

Nur ein paar Schritte vom Aula-Gebäude entfernt befindet sich in der Sonnenfelsgasse 19 das sogenannte „Pedellhaus“, benannt nach der Funktion des Pedells (= bedellus), also des Administrators der Universität. „Domus Universitatis MDCXXVII“ steht heute noch oberhalb des Portals, und auf dem Balkongitter befinden sich die Initialen für die „Universität Viennensis“ „U“ und „V“. Hier befand sich von 1627 bis 1884 das Amtshaus der Universität, in dem das Archiv, die Kanzlei und das Verwaltungsgebäude untergebracht waren.

Der Raum unter dem Balkon war einst ein Karzer, also Kerker, der nur für die Universität seine Verwendung fand. Die Universität hatte bis 1783 eine eigene Gerichtsbarkeit, was durchaus Vorteile für Angehörige der Universität hatte. Im Falle einer Verurteilung zum Tode konnten sie nämlich darauf zählen, mit dem Schwert hingerichtet, und nicht, wie das gemeine Volk, gehängt zu werden.

Pedelhaus
Das sogenannte „Pedellhaus“ befindet sich in der Sonnenfelsgasse 19 und ist nach der Funktion des Pedells (= bedellus), also des Administrators der Universität, benannt. Hier befand sich von 1627 bis 1884 das Amtshaus der Universität. Der Raum unter dem Balkon war einst ein Karzer, also Kerker, der nur für die Universität seine Verwendung fand.


© Stefan Seelig

 

Rund um das Pedelhaus lagen die Studentenbursen.  Dort lebte man nach reglementierten Vorgaben in einer Art Wohngemeinschaft. Meistens waren diese nach Herkunftsort der Studiosi benannt. Die Schlesier kamen beispielsweise in der „Bursa Silesorum“ unter. Die Bursen verfügten über Unterrichtsräumlichkeiten sowie Schlaf- und Wohnräume: die Bude. War der Magister nicht anwesend, gab es eine „sturmfreie Bude“. Bei der Wiener Bevölkerung hatten die Studenten allerdings keinen guten Ruf. Oft kam es zu Prügeleien, weshalb sich ein Schulmeister im 18. Jahrhundert zu folgendem Hilferuf bemüßigt fühlte: „Das Sittenverderben unserer heutigen Jugend ist so groß, dass ich es unmöglich länger bei derselben aushalten kann. Ja, oft geschieht es, dass die nicht in Schranken gehaltene oder nicht gebührend ausgetriebene Zuchtlosigkeit eines einzigen Jünglings von ungesunder Triebkraft und verdorbenen Auswüchsen auch die übrigen noch frischen und gesunden Pflanzen ansteckt.“

Leider gibt es keine genauen Zahlen über die Häufigkeit, mit der die Studenten damals ihre Burse mit dem Karzer tauschten. Anzunehmen ist, dass die Tage mit Leerbelegungen im Karzer eher überschaubar gewesen sein durften.

 

 

Hans-Peter Petutschnig ist seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich. Er ist zudem stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien und organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte. Zusammen mit der staatlich geprüften Wiener Fremdenführerin sowie Kunst- und Kulturvermittlerin Bibiane Krapfenbauer-Horsky hat er das Buch „Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien – Medizinische Spaziergänge durch die Stadt“ verfasst.

Hans-Peter Petutschnig
Hans-Peter Petutschnig, seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich, begibt sich nun regelmäßig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin.
Stefan Seelig
Nicht immer gestaltete sich das Miteinander von Medizinern und Rechtsgelehrten einfach. Ein Streitpunkt war sicherlich der Keller, in dem die Mediziner ihre Leichen für die Sektionen lagerten. Quellen belegen, dass der Verwesungsgeruch an warmen Tagen den Juristen durchaus unangenehm war.
 
© medinlive | 18.04.2024 | Link: https://www.medinlive.at/gesellschaft/altes-universitaetsviertel