Interview
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Miterfinder der CRISPR-Genschere sieht offene Fragen

Der Forscher Krzysztof Chylinski berichtet von längst nicht mehr utopischen Anwendungsfällen dieser Technologie und mahnt gleichzeitig zu großer Vorsicht.

Claudia Tschabuschnig

Als Teil des Forscherteams um die US-Biochemikerin Jennifer Doudna und die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier hat Chylinski vor sechs Jahren eine zukunftsweisende Arbeit veröffentlicht: Die wissenschaftliche Dokumentation der Genschere CRISPR/Cas9 im Fachmagazin „Science“ dient Wissenschaftern weltweit als Grundlage für die Genmodifikation. Im Interview mit „medinlive“ spricht der in Wien forschende Pole über den Einsatz der Genschere im wissenschaftlichen, politischen und ethischen Diskurs.

medinlive: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kürzlich das Urteil gefällt, dass mit Verfahren wie CRISPR modifizierte Pflanzensorten als gentechnisch verändert gelten. Was sagen Sie zu dem Entscheid?

Chylinski: Meiner Meinung nach ist das einfach eine falsche Entscheidung. Nahezu alles, was wir essen ist genetisch modifiziert, da es auf hunderten Jahren Kreuzung und Züchtung verschiedener Pflanzen beruht. Niemand denkt daran, dass Karfiol, Brokkoli, Kohlsprossen und Kohl im Grunde von derselben Pflanze abgeleitet sind. Nur fand die genetische Modifikation auf zufällige, unkontrollierte Weise statt. Die Menschen sind verängstigt, weil es nun die Möglichkeit gibt, auf eine sehr kontrollierte Art und Weise ein Verfahren anzuwenden, das genauso in der Natur auftreten könnte. Diese Entscheidung ist in hohem Maß unlogisch und im Grunde ziemlich beleidigend für Wissenschafter.

medinlive: Welche Bedeutung hat CRISPR/Cas9 für die Wissenschaft?

Chylinski: Für mich ist CRISPR/Cas9 eine echte Revolution in der Grundlagenwissenschaft, da die genetische Modifizierung von nun an einfacher und kostengünstiger wird. Vieles, das nun im Bereich der Medizintechnik mit CRISPR/Cas 9 gemacht werden kann, ist bereits mit älteren Methoden (Genscheren wie z.B. Zinkfinger-Nukleasen oder TALEN, Anm.) auch möglich, aber teurer und zeitintensiver. Es ist ohnehin ein Tropfen auf dem heißen Stein bei den Kosten für die Entwicklung von Therapien. Für wissenschaftliche Laboratorien macht es aber einen großen Unterschied, ob man hundert oder dreitausend Euro für eine genetische Veränderung aufwenden muss. Was ich beobachtet habe ist, dass über 60 der etwa 100 Forschungsgruppen hier am Campus (Vienna Biocenter, Anm.) an genetischen Modifikationen arbeiten. Also über 60 Gruppen verwenden CRISPR/Cas9.

medinlive: Bei welcher Therapie findet die CRISPR-Technologie die vielversprechendste Anwendung?

Chylinski: Es gibt eine Reihe klinischer Studien, die bereits in Gange sind. Bei einer Therapieform bei Erwachsenen ist CRISPR/Cas9 besonders erfolgversprechend: dort, wo nicht die Zellen des gesamten Organismus modifiziert werden, sondern nur eine Teilmenge. Diese können entnommen, verändert und wieder eingesetzt werden, wie etwa in der Krebsimmuntherapie. Dabei reicht bereits eine nicht 100 prozentige Wirksamkeit aus, damit die Zellen den Tumor attackieren. Dasselbe haben wir etwa auch bei der Infektion mit dem HI-Virus. Hier kann man die Vorläuferzellen von einem Erkrankten entnehmen und modifizieren, um Zellen zu produzieren, denen z.B. der so genannte CC5-Rezeptor, den der HI-Virus braucht, fehlt. Auch hier müssen nicht alle Zellen verändert werden. Der Patient hätte vielleicht nur einige wenige Prozent der üblichen Anzahl an T-Zellen, diese würden aber ausreichend Immunität schaffen. Auch bei bestimmten Formen von Blutgerinnungsstörungen, wie Anämie oder Thalassämie, kann CRISPR/Cas9 eine Option sein. Ebenfalls möglich ist eine genetische Modifikation auf dem Niveau eines Embryos. Aber ein Gen im gesamten Organismus zu reparieren, ist derzeit noch nicht effizient.

medinlive: Warum?

Chylinski: Bei Erbkrankheiten, die ganze Organe betreffen, wie degenerative Erkrankungen, müssten wir jede einzelne Zelle im Körper modifizieren – das ist unmöglich. Wenn man ein Gen löschen möchte, funktioniert die Methode extrem gut, zumindest bei einem Großteil der Fälle. Es kommt aber immer auf den Organismus und den Zelltyp an. Für mich ist es derzeit unvorstellbar, dass wir etwas mit 100-prozentiger Wirksamkeit auf den gesamten Körper anwenden können. Aber wer weiß, unvorstellbare Dinge geschehen ohnehin zu jeder Zeit.

medinlive: Welche Möglichkeiten gibt es, um CRISPR/Cas9 an seinen Wirkungsort zu bringen?

Chylinski: Die einfachste und effektivste Methode ist über Viren. Also injiziert man einen Virus und vertraut auf seinen natürlichen Mechanismus, in eine Zelle einzudringen und das genetische Material zu erhalten. Diese Viren sind natürlich nicht pathogen (krankheitserregend, Anm.). In vielen Fällen sind diese Viren auch nicht integrativ. Sie bewirken also nur eine kurze Expression, das genetische Material lagert sich nicht ein. Wenn man Zellen aus dem Körper entnimmt und diese modifiziert, hat man eine Vielzahl von Möglichkeiten. Wenn es aber um therapeutische Ansätze geht, wäre es gut, eine Methode zu nutzen, die so sicher wie möglich ist. Einen Virus zu verwenden, der das Potenzial hat sich zu integrieren, ist für mich nicht das beste Konzept. Was wir in der Grundlagenforschung machen ist, dass wir CRISPR/Cas9 über Elektroporation (über ein elektrisches Feld, Anm.) in die Zelle schleusen. Das ist eine gängige Methode. Ein anderes Verfahren ist die Lipofektion, bei der die DNA von einer Fetthülle umgeben wird, die später mit der Membran der Zielzelle verschmilzt und die DNA damit freisetzt.

medinlive: Mithilfe von CRISPR/Cas9 und dem Genantrieb (Gene Drive, einer Methode zur beschleunigten Ausbreitung von Genen in Populationen, Anm.) ist es Londoner Wissenschaftern kürzlich gelungen, das Erbgut einer Malaria-Mücken-Population unter kontrollierten Bedingungen so zu verändern, dass sie wegen unfruchtbarer Weibchen aussterben. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Chylinski: Die Chancen stehen gut, dass diese Methoden funktionieren und bei von Insekten übertragbaren Krankheiten, wie Malaria oder der Schlafkrankheit, eingesetzt werden können. Ich sehe das Problem aber in der Schwere des Eingriffs in das Ökosystem. Hier gibt es eine hitzige Diskussion, ob wir dies überhaupt tun sollten, da wir letztendlich nicht wissen was passieren kann. Zwar könnten wir Menschen helfen, aber dadurch auch die Umwelt zerstören, und dann hätten die Menschen, die darin leben ein noch viel größeres Problem. Forscher arbeiten daher an reversiblen Systemen, die falls etwas schief gehen sollte, die Bevölkerung schützen könnten.

medinlive: Sollten solche Methoden beschränkt werden?

Chylinski: Ja, aber dazu weiß ich zu wenig über Ökologie. Ich denke, dass bei allem, das global passiert, schwer einzuschätzen ist, welche Folgen das haben könnte. Wir haben Beispiele aus der Geschichte, die zwar kein Genantrieb sind, aber zeigen welche Folgen ein Eingriff auf diesem Niveau haben kann. Während der Kulturrevolution in China beschloss die Regierung, alle Spatzen zu vernichten, weil sie dachten, sie würden das ganze Getreide fressen und hätten so zur Verknappung der Getreideproduktion beigetragen. Dies führte zu einer großen Hungersnot, da sich durch das Fehlen der Spatzen Getreideschädlinge unkontrolliert ausbreiten konnten. Also ein Problem auf diesem Niveau zu beseitigen, wäre einfach zu gefährlich.

medinlive: Wie fortgeschritten ist das Forschungsfeld im Bereich von Mutationen?

Chylinski: Wir wissen nicht allzu viel. Es ist immer noch ziemlich teuer, das Gesamtgenom bei tausenden Individuen zu sequenzieren und analysieren. Wir sind leider immer noch dabei herauszufinden, was eine Treibermutation (die das Tumorwachstum initiiert und die Malignität vorantreibt, Anm.) ist. Forscher stellen meist eine Korrelation zwischen dem Vorkommen einer Mutation und einer Krankheit her, aber das Problem ist, dass gesunde Menschen seltener untersucht werden. Wir sehen also nur, dass viele Menschen bestimmte Mutationen haben. Auch gibt es gesunde Menschen, die Mutationen in sich tragen, bei denen aber keine Krankheit ausbricht und andere, die keine Mutation besitzen und dennoch eine Krankheit entwickeln. Der Zellbiologe Stuart Newman vom New York Medical College hat zu dem Thema bei einer Konferenz in Wien letztes Jahr gesagt: Wir sollten darüber nachdenken, ob es wirklich notwendig ist, alles zu korrigieren. Gewiss kann CRISPR Mutationen entdecken und korrigieren, aber es kommt auch darauf an wo.

medinlive: Jüngste Studien warnen davor, dass CRISPR/Cas9 auch unerwartete genetische Schäden verursachen kann.

Chylinski: Das CRISPR-Forschungsfeld ist verrückt. Jeder versucht so schnell wie möglich zu publizieren, und vieles ist übereilt. Gelegentlich gibt es dann eine alarmierende Publikation, die von unvorhergesehen Abläufen berichtet. Etwas, das niemand zuvor in 1.000 Anwendungen gesehen hat. Dann ist jeder alarmiert, die Medien greifen das Thema auf, die Aktienkurse der CRISPR-Unternehmen fallen über Nacht um 20 Prozent und zwei Monate später gibt es wieder eine wissenschaftliche Arbeit, die besagt, dass nichts passiert ist. Natürlich gibt es Risiken. Es kommt auch darauf an, welche Methode verwendet wird. Man muss immer vorsichtig sein, wenn man etwas in eine Zelle einsetzt, insbesondere bei einem Virus oder einem Stück einer DNA.

medinlive: Immer wieder kursieren auch Meldungen über den Einsatz von CRISPR/Cas9 als Biowaffe.

Chylinski: Das sind amüsante Ideen. Es gibt so viele einfachere und günstigere Methoden, wie Anthrax (Milzbrand, Anm.) oder Pocken, die viel effizientere Biowaffen sind. Es gibt aber auch einige kuriose Anwendungsbeispiele. Fälle, in denen Forscher versuchen, Arten wiederzubeleben, wie das Mammut, indem sie Gene modifizieren. Ein Großteil dieser Forschung findet in den USA statt. Es gibt auch Versuche, ausgerottete Tauben wieder zum Leben zu erwecken. Es ist schon interessant, wie manches auf diesem Gebiet gerade läuft. So gab es beispielsweise eine Publikation aus China, bei der ein menschlicher Embryo modifiziert wurde, welche eine hitzige Diskussion auslöste und die Medien dazu veranlasste, eine Weltuntergangsstimmung zu inszenieren. Ein halbes Jahr später, gab es ein andere Arbeit aus den USA, bei der eine genetische Krankheit bei einem menschlichen Embryo verändert wurde. In diesem Fall wurden die wissenschaftlichen Erkenntnisse gelobt, und die Reaktionen waren überwiegend positiv. 

medinlive: Gerade die Modifikation von Embryos wirft ethische Fragen auf. Wer sollte Teil der ethischen Diskussion sein?

Chylinski: Idealerweise wäre natürlich jeder, aber es wird eher so sein, dass Forscher und Praktiker, wie Ärztinnen und Ärzte, darüber reden und dies befürworten werden. Skeptische Bioethiker werden auf der anderen Seite stehen, und dann gibt es noch Politiker, die Entscheidungen treffen müssen. Viele verschiedene Gruppen werden darüber diskutieren. Ich bin der Meinung, dass die breite Öffentlichkeit auch Teil der Diskussion sein soll, damit die Bürger eine informierte Entscheidung treffen können. Früher oder später müssen wir akzeptieren, dass es diese Möglichkeiten gibt, und dann wird es Diskussionen über jeden spezifischen Fall geben. Wir werden diese Entscheidungen sehr bald treffen müssen, wenn man bedenkt, wie schnell sich Dinge entwickeln. Letztendlich werden Politiker Entscheidungen treffen, also wer weiß wie es weitergeht. Als die erste Meldung von dem ersten geklonten Tier, dem Schaf Dolly, aufkam, erzeugte dies zunächst eine Weltuntergangsstimmung, aber die Menschen sahen es einfach als eine unglaubliche Sache an. Nun gibt es Firmen, die tote Tiere wiederbeleben können, und Menschen finden das in Ordnung. So verändert sich die Realität und viele hinterfragen es nicht.

Patentstreit
Um die revolutionäre Genschere CRISPR/Cas9 ist ein Patentstreit unter Forschern entbrannt. Obgleich die US-Biochemikerin Jennifer Doudna und die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier als erste ein Patent für dieses Werkzeug einreichten, wurde kürzlich auch dem Neurowissenschafter Feng Zhnag des amerikanischen Broad-Institut ein Patent erteilt. Zhang wies nach, wie man die Methode auch auf Zellen mit echtem Zellkern anwenden könnte. Die Forscher haben alle Anteile an Biotech-Firmen, die mit den zu erwartenden Lizenzgebühren Millionen verdienen könnten.

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Hintergrund:

Wissenschafter: EU-Urteil zu Gentechnologie nicht nachvollziehbar

„Wir werden diese (ethischen, Anm.) Entscheidungen sehr bald treffen müssen, wenn man bedenkt wie schnell sich Dinge entwickeln.“
Der CRISPR-Miterfinder Krzysztof Chylinski im Labor im Vienna Biocenter.
Der CRISPR-Miterfinder Krzysztof Chylinski im Labor im Biocenter St.Marx in Wien.
Claudia Tschabuschnig
CRISPRCas9
Die CRISPR-RNA erkennt mit ihrem von einer früheren Virusattacke stammenden spacer-Bereich einen passenden Abschnitt auf einer Fremd-DNA. Mit der tracr-RNA bildet sie haarnadelförmige Strukturen. Das Cas9-Enzym kann dann beide DNA-Stränge durchtrennen.
Ferrata Storti Foundation
„Das Problem ist, dass niemand gesunde Menschen untersucht.“
„Früher oder später müssen wir akzeptieren, dass es diese Möglichkeiten gibt.“
 
© medinlive | 02.10.2024 | Link: https://www.medinlive.at/wissenschaft/miterfinder-der-crispr-genschere-sieht-offene-fragen