Pflegeheim-Prozess in St. Pölten geht ins Finale
Ein Prozess gegen vier frühere Mitarbeiter eines Pflegeheims in Sitzenberg-Reidling (Bezirk Tulln) ist am Donnerstag nach weiteren Zeugenbefragungen in die Zielgerade gegangen. Laut Anklage sollen Bewohner:innen u.a. zusätzliche Medikamente verabreicht worden sein, um sie ruhigzustellen. Demenzkranke sollen auch geschlagen worden sein. Die drei Frauen und ein Mann haben sich nicht schuldig bekannt. Beweisanträge der Verteidigung wurden abgewiesen.
Demenzkranke sollen laut Staatsanwaltschaft gequält, misshandelt, beschimpft und bespuckt worden sein. Mehrere Zeuginnen berichteten vor Gericht von „sehr müden“ Bewohner:innen, die teilweise beim Tisch eingeschlafen seien. Es habe Gerüchte und Vermutungen gegeben, aber keine Beweise, meinte eine damalige Mitarbeiterin am sechsten Tag der Schöffenverhandlung. Sie berichtete von einer „sehr gedrückten Stimmung“ auf der Station. Eine diplomierte Beschäftigte sagte: „Es war sehr ruhig. Diese Ruhe war irgendwie unangenehm.“ Bewohner:innen hätten beispielsweise nicht miteinander gesprochen. Nachdem die Angeklagten nicht mehr im Heim tätig waren, wurde es laut mehreren Zeuginnen „lebendiger“ auf der Station. Bewohner:innen seien wieder „aktiver“ gewesen.
Eine Zeugin berichtete von einem Bewohner, dessen Zustand sich im März 2021 über das Wochenende stark verschlechtert hatte. Die Mitarbeiterin und die zuständige Ärztin vermuteten, dass der Demenzkranke zu viele Medikamente erhalten hatte. Der männliche Angeklagte, der am Wochenende Dienst hatte, habe dies bestritten.
Zusätzliche Medikamente
Einige der früheren Kolleginnen der Angeklagten berichteten von Personalmangel 2020 und 2021 im Heim. Übereinstimmend mit den Beschuldigten und im Gegensatz zu anderen Zeugen erklärte eine ehemalige Beschäftigte, dass Pflegeassistent:innen bei Bedarf zusätzliche Medikamente auch ohne vorherige Zustimmung von diplomierten Kräften verabreichen durften. Ihre Chefin habe das erlaubt, meinte die frühere Heimmitarbeiterin. Die Vorgesetzte hat das in ihrer Zeugenbefragung vor zwei Wochen bestritten. Eine ehemalige Kollegin beschrieb die 46-jährige Erstangeklagte als „sehr bestimmend und autoritär auch Bewohnern gegenüber“ und meinte: „Es war keine herzliche Atmosphäre“.
Im Zuge der Erhebungen wurden über 100 Zeug:innen vernommen, sagte der Ermittlungsleiter. Die demenzkranken Opfer können nicht befragt werden.
Alle vier Beschuldigten im Alter von 33 bis 46 Jahren stehen seit Jänner wegen fortgesetzter Gewaltausübung vor Gericht. Der Erstangeklagten und dem 36-jährigen Mann wird zudem sexueller Missbrauch von wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Personen vorgeworfen. Die 46-Jährige muss sich außerdem - wie auch die 39-Jährige - wegen Quälens und Vernachlässigen wehrloser Personen verantworten. Die Anklage bezieht sich auf den Tatzeitraum März 2020 bis März 2021.
WhatsApp-Gruppe der Angeklagten
Die Angeklagten tauschten sich in einer WhatsApp-Gruppe aus. Geschrieben wurde etwa, dass Bewohner „gleich niedergespritzt werden“. Die Dienstverhältnisse mit den Beschuldigten wurden nach Bekanntwerden der Vorwürfe beendet. Im Fall einer Verurteilung drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Die Beweisanträge der Verteidigung wurden abgewiesen. Großteils begründete die Richterin dies damit, dass Rechtsfragen nicht durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden könnten. Auch die beantragte Einvernahme weiterer Zeug:innen wurde abgewiesen, weil diese nach Ansicht des Schöffensenats nicht zur weiteren Klärung des Sachverhalts beitragen könnten. Der Prozess wurde mit der Verlesung des Akts fortgesetzt.