Trisomie 21 in Ländern des globalen Südens oft ein Stigma
Die ersten neun Jahre musste der indische Bub Rahul Mejar in seinem Bett verbringen. Komplikationen bei der Geburt hatten dazu geführt, dass er unter Zerebralparese litt. Sein Vater hatte wieder geheiratet und sich für seinen Sohn geschämt. Daher versuchte er ihn vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Solche Fälle sind in den Ländern des Südens immer wieder zu finden, Behinderungen sind oft ein Stigma. Das betrifft auch Kinder mit Trisomie 21.
So ein Fall wäre wohl Joachim gewesen, der anders als Rahul ohne Probleme in Burkina Faso zur Welt kam. Seine Mutter bemerkte jedoch, als er sechs Monate alt war, dass Joachim Schwierigkeiten hatte, Gegenstände zu greifen und zu halten. Er wog auch deutlich weniger als andere Kinder. Seine Mutter war besorgt und ging zum Arzt mit dem Buben. Dort erhielt sie die Diagnose, dass Joachim Trisomie 21 hat.
Mit Unterstützung der Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen, „Licht für die Welt“, brachte sie ihn regelmäßig zur Rehabilitation in ein Gesundheitszentrum, wo sie lernte, die Übungen auch zu Hause mit ihm zu machen. Die Reha-Therapeutin Juliette kommt regelmäßig vorbei, um Joachims Entwicklung zu verfolgen und das Training anzupassen. Der Bub nahm an Gewicht zu, er lernte zu stehen und kann mit Hilfe bereits gehen.
Seine Mutter ist stolz auf seine Fortschritte, aber das Trauma bleibt. „Die Leute sagten mir, mein Sohn sei kein Mensch“, erzählte sie. Solche Reaktionen sind kein Einzelfall - nicht in Burkina Faso und auch nicht in vielen anderen Ländern des globalen Südens. Wird in dem westafrikanischen Land ein Kind mit Behinderung geboren, glauben viele Menschen an einen Fluch. Dann wird eine schuldige Person gesucht, jemand muss für die Behinderung verantwortlich gemacht werden. Die Mütter trifft es häufig: Sie hätten in der Schwangerschaft etwas falsch gemacht, sich falsch verhalten oder eine Stelle im Busch betreten, wo böse Geister wohnen.
„Licht für die Welt“ versucht, mit seinen lokalen Partnern solche Vorurteile abzubauen. Die Organisation arbeitet nicht nur mit den Kindern mit Behinderungen bzw. mit deren Familien, sondern auch mit den Communities. In Burkina Faso etwa touren aufklärende Theaterstücke durch die Dörfer und medizinisches Personal sowie Community Worker leisten Aufklärungsarbeit.
Mütter häufig für Behinderung ihrer Kinder beschuldigt - Gegensteuern durch gemeindenahe Sozialarbeit
Philippe Compoaré arbeitet seit 2014 in Burkina Faso für „Licht für die Welt“ und kann positive Veränderungen im Mindset der Menschen erkennen: „Dort, wo 'Licht für die Welt' aktiv ist, sehe ich deutlich, dass Kinder mit Behinderungen weniger oder zum Teil gar nicht mehr stigmatisiert werden. Wir schulen auch Lehrerinnen und Lehrer, Kinder mit Behinderungen zu unterrichten, und ich sehe auch, dass die Kinder in die Schule gehen wollen. Sie wissen, dass sie das können. Das war nicht immer so."
Ein weiterer wichtiger Punkt für „Licht für die Welt“ ist die Kooperation mit dem Bildungsministerium, um inklusive Bildung auf nationaler Ebene weiterzubringen. Das Problem sind die fehlenden Ressourcen, um diese flächendeckend umzusetzen. Auch in den Bildungseinrichtungen der katholischen Kirche, der zweitgrößten Anbieterin bei Schulen in Burkina Faso, unterstützt „Licht für die Welt“, diese inklusiv zu machen.
Inklusion in das tägliche Leben der Bevölkerung zu implementieren, funktioniert nicht ohne die Einbindung der jeweiligen Gemeinden. Das läuft über zwei Konzepte, der gemeindenahen Rehabilitation (CBR) und der Inklusion auf lokaler Ebene (DICD). Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen Gesundheit und ein selbstbestimmtes Leben durch Bildung, Einkommen sowie politische Mitsprache zu ermöglichen. Das Umfeld soll so inklusiv wie möglich werden, Kinder bzw. Menschen mit Behinderungen die bestmögliche Förderung und Unterstützung erhalten.
Inklusion auf lokaler Ebene wird durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter begleitet. Sie sind üblicherweise Teil der Community und nah an den Lebensrealitäten der Familien. Sie besuchen sie zu Hause, fördern und unterstützen die Kinder mit Behinderungen. Das heißt: Sie leiten Rehabilitation an, unterstützen bei der Einschulung und dem Schulbesuch, ermöglichen medizinische Hilfe. Je nach Bedarf kommen sie ein bis mehrmals pro Woche zu den Familien nach Hause.
Trisomie 21 ist eine genetische Veränderung: Das Chromosom 21 ist dreimal statt zweimal vorhanden. Das führt zu einer intellektuellen Behinderung, Kleinwuchs samt typischem äußeren Erscheinungsbild. Bei einer von 1.000 Lebendgeburten tritt Trisomie 21 auf. Die Inzidenz steigt mit dem Alter der Mutter an.