Klimaresistentes Saatgut soll Ernährungssicherheit garantieren
Ganz oben auf der Agenda beim Treffen der EU-Agrarminister am Dienstag in Brüssel stehen nicht nur die Auswirkungen der extremen Wetterereignisse auf die Landwirtschaft. Diskutiert werden dazu auch die Reformpläne der EU-Kommission für das EU-Saatgutrecht, die mehr Saatgut-Vielfalt und damit Ernährungssicherheit bringen sollen: Während zahlreiche Vertreter der Agrarindustrie dies begrüßen, befürchten viele Umweltschützer und kleinere Landwirte das genaue Gegenteil.
Mit den neuen Vorschriften „erhalten Landwirte Zugang zu vielfältigem, hochwertigem und klimaresistentem Saatgut“, betonte der für den Green Deal zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, bei der Vorstellung der Pläne Anfang Juli in Brüssel. Der Vorschlag zur Reform des EU-Saatgutrechts behält die Grundpfeiler der bisherigen Regelung bei. Neue Saatgut-Sorten müssen registriert und zertifiziert werden, bevor sie auf den Markt kommen. Die Reform soll laut EU-Kommission aber für mehr Saatgut-Vielfalt auf dem Markt und auf den Feldern sorgen. Diese Steigerung der „Agrarbiodiversität“ soll durch vereinfachte Regeln für Erhaltungssorten sowie Ausnahmeregelungen für Saatgutschutznetzwerke und den Austausch zwischen Landwirten erreicht werden.
„Es ist an der Zeit, dass die veraltete EU-Saatgutverordnung an unsere aktuellen Gegebenheiten und den Stand der Wissenschaft angepasst wird. Die aktualisierten Vorschriften sollen sicherstellen, dass Saatgut für stabile Erträge sorgt, indem neue Pflanzensorten zukunftsfähig gemacht werden“, erklärte Alexander Bernhuber, ÖVP-Umweltsprecher im Europaparlament, gegenüber der APA. Neue Sorten sollen in Zukunft gezielt auf Eigenschaften geprüft werden, die zu einer nachhaltigeren landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion beitragen.
Für alte Sorten fordert Bernhuber, der selbst Landwirt ist, aber Sonderregelungen: „Gerade mit seltenen, alten Sorten von kleinen Züchtern erhalten wir eine große genetische Vielfalt.“ Dies dürfe nicht durch aufwändige Zulassungsprozesse oder Gebühren gefährdet werden. „Regionale Sorten, die an klimatische Bedingungen angepasst sind, sind in Zeiten der Klimakrise wichtiger denn je“, so auch Andreas Waitz, grüner EU-Abgeordneter und selbst Biobauer. „Saatgut und Sortenvielfalt sind entscheidend für eine nachhaltige, unabhängige und krisenresistente Landwirtschaft. Nur so können wir unsere Ernährungssicherheit langfristig gewährleisten.“
Bauern im Nachteil
Die Reformpläne spielen laut Waitz aber weiterhin den großen Agrarindustrie-Konzernen wie Bayer-Monsanto und Corteva in die Hände. Bäuerinnen und Bauern dürfen ihr eigenes Saatgut laut Vorschlag nur in kleinen Mengen und unter bestimmten Voraussetzungen tauschen. ARCHE NOAH, die Gesellschaft zur Erhaltung und Verbreitung der Kulturpflanzenvielfalt, fordert, die Verbreitung und nachhaltige Nutzung der Kulturpflanzen-Vielfalt explizit zu erlauben.
Garlich von Essen, Generalsekretär von Euroseeds, dem EU-Verband der Saatgutindustrie, sieht „auch ein gesamtgesellschaftliches Ziel. Wenn es uns ernst ist mit mehr Nachhaltigkeit und weniger Pestiziden, dann dürfen wir am Anfang der Kette keine Fehler machen und keine Kompromisse bei der Qualität dulden.“ Herbizidtolerante Sorten sind einer der umstrittensten Aspekte dieser Reform. Saatgut, das auf Resistenz gegen chemische Pflanzenschutzmittel gezüchtet oder manipuliert wurde, kann zu einem erhöhten Einsatz von Pestiziden führen.
Euroseeds vertritt 35 Verbände und 79 Unternehmen der Saatgut-Branche. „Unsere Mitglieder sind sich einig: das erfolgreiche europäische System der Sortenprüfung und -zulassung ist die Grundlage für Europas weltweit führende Stellung und unseren Erfolg im Saatgutexport“, bekräftigte von Essen im Gespräch mit der APA. Die EU hält nach Angaben der EU-Kommission einen Anteil von etwa 20 Prozent am Weltmarkt mit einem geschätzten Wert von sieben bis zehn Milliarden Euro. Die European Landowners' Organisation (ELO) begrüßte den Vorschlag als „besonders wichtig, um den Sektor in die Lage zu versetzen, sich zu modernisieren und effektiv auf die Herausforderungen des Klimawandels zu reagieren“.
Der Kommissionsvorschlag enthält auch angepasste Regeln für ökologische Sorten. Ein Ziel des europäischen Green Deal ist, bis 2030 mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der EU ökologisch zu bewirtschaften. „Derzeit haben wir die Saatgut-Infrastruktur für eine nachhaltige Landwirtschaft noch nicht“, kritisierte Magdalena Prieler, EU-Referentin der ARCHE NOAH in Brüssel. Sie appellierte im Vorfeld des Agrarrates an die Ministerinnen und Minister, die Kulturpflanzenvielfalt vor Überregulierung und Patenten zu schützen: „Die Vielfalt ist unsere Versicherung gegen die Herausforderungen von morgen.“