Das Josephinum, historisches Eingangstor zur Medizinischen Universität Wien mit ihrem riesigen Bestand an archivarischen Schätzen: Dort lagern sie, drei Exemplare dieser Lamborghinis der Bücherwelt, für Bibliophile absolute Highlights.
Die Rede ist von De Humani corporis fabrica Libri septem, dem Haupt- und Lebenswerk des flämischen Arztes und Anatomen Andreas Vesalius (eigentlich Andreas Vesal). Das höchst opulente Buch wurde erstmals 1543 publiziert und enthält 200 teilweise ganzseitige innovative Illustrationen der menschlichen Anatomie inklusive Gehirn, Adern, Nerven und Muskeln. „Die hervorragenden Holzschnitte werden zum Teil Jan Stephan van Calcar (1499-1548), einem Schüler Tizians (1488-1576), zugeschrieben. Vesal zeichnet in diesem Werk, bezugnehmend aus Plinius (23-79), eine Abstammungslinie vom Affen zum Menschen. Vesals „Fabrica“ erschien 1543 in Basel, wo er auch ein anatomisches Kolloquium abhielt und eine Leiche präparierte. Es handelt sich angeblich um Jakob Karrer von Gebweiler, einem Straftäter. Dieses „Vesalsche Skelett“ ist heute noch in der anatomischen Sammlung in Basel erhalten“ schreibt Harald Albrecht, Bibliothekar des Josephinums, dazu im Van Swieten Blog der Universitätsbibliothek der MedUni Wien.
Doch wer war der Mensch, der hinter diesem bahnbrechenden Werk steckte? Andreas Vesalius wurde am letzten Tag des Jahres 1514 in Brüssel geboren (andere Quellen sprechen vom ersten Tag des Jahres 1515), hinein in eine Familie, die seit Generationen der Medizin zugetan war – so war sein Vater etwa Hofapotheker Kaiser Karl des V.
Als Fünfzehnjähriger begann er sein Studium der alten Sprachen an der Universität Löwen in den heutigen südlichen Niederlanden. Löwen galt damals als Hauptstadt des Humanismus und die dortige Alte Universität, die 1797 geschlossen wurde, als dessen Zentrum. Während seines Studiums, das ihn später auch nach Paris führte, wo er seine medizinische Ausbidung erhielt, wurde Vesal allerdings klar, das die klassische medzinische Tradition nicht zu seinen eigenen Beobachtungen passte. Vieles erschien ihm falsch und nicht stimmig.
Sezierung von Menschen als wesentliche Neuerung
Vesals Ausbildung fußte, den Gepflogenheiten der damaligen Zeit entsprechend, auf dem tradierten Wissen Galens, dem berühmtesten und einflussreichsten Arzt, den man bis dahin gekannt hatte. Galen (oder Galenos) war Grieche, wurde vermutlich zwischen 128 und 131 n.Chr. in Pergamon geboren und prägte die Medizin bis über Jahrhunderte hinweg. Was Galens Verständnis von Medizin anging, so war dieser unter anderem ein Verfechter der Humoralpathologie, also der Lehre von den Körpersäften, die in richtig ausbalanciertem Verhältnis stehen müssen. Diese galt bereits seit der Antike als essentiell und wurde von Galen systematisch weiterentwickelt. Und: Dieser hatte sein anatomisches Wissen ausschließlich aus der Sezierung von Tieren gewonnen, denn laut damals geltendem Römischen Recht durften menschliche Leichen nicht „verstümmelt“ werden. Auch die katholische Kirche sprach sich noch bis lange nach dem Zerfall des Römischen Reiches gegen Sektionen am Menschen aus, bis der diesbezügliche Kirchenbann gelockert wurde und sich die beiden Päpste Sixtus IV und Clemens VII im 15. Jahrhundert sogar explizit dafür aussprachen.
Vesal jedenfalls kritisierte die althergebrachten Vorstellungen und Überlieferungen in der Medizin scharf und so revolutionär das auch war, der Flame stand damit keineswegs alleine da. Ganz grundsätzlich befand sich nämlich die Wissenschaft und damit auch die Heilkunst mitten in einem Paradigmenwechsel. Hin zur Empirie, zur genauen Beobachtung und eben auch zur Sezierung von Menschen. Vesal „forderte eine neue Anatomie, die sich ausschließlich auf eigene Befunde und Beobachtungen durch Sektionen stützen sollte. Damit führte er morphologisches Denken in die Darstellung der Anatomie ein. Vesals Innovationsschub löste den größten Fortschritt in der Anatomie seit der Antike aus“ beschreibt Albrecht in seinem Text im Van Swieten Blog dessen Wichtigkeit. Vesal besaß mit seiner Kritik also kein Alleinstellungsmerkmal, war aber wohl ein wesentlicher Erneuerer in der Medizin.
Erwähnte „Fabrica“ mit den berühmten Darstellungen des menschlichen Körpers und den noch heute populären „Muskelmännern“, die das zweite Buch illustrieren, galt lange Zeit als Referenzgröße für anatomische Darstellungen, gerade die innovative Anfertigung der Bilder mit dem schichtweisen Aufbau der menschlichen Anatomie war damals bahnbrechend. Und selbst in der heutigen Populärkultur haben die „Muskelmänner“ ihre Spuren hinterlassen, egal ob Kalender, Kaffeetasse oder Wandbild.
Das erste Buch der „Fabrica“ widmet sich übrigens dem Knochenbau, das dritte den Adern, das vierte den Nerven, das fünfte und sechste Brusthöhle und Unterleib und das siebte und letzte Buch schließlich dem Gehirn. Vesal bezeichnet selbiges als „eine Wohnung der lebendigen Vermöglichkeit und Instrument oder Werkzeug der Vernunft“.
Was Vesals Arbeit so wichtig und wegweisend machte, war das Infragestellen tradierter Ideen und der gleichzeitigen, akribischen Umsetzung neuer Gedankengänge. Andreas Vesal war sozusagen ein Meister darin, seine Beobachtungen zu sammeln, zu klassifizieren und all diese neuen Daten dann lebendig und anschaulich zu machen. Das macht ihn auch heut noch zu einer höchst spannenden Figur in der Geschichte der Medizin.