Ende 2018 bekam sie den Friedensnobelpreis. Spätestens da war die Frau aus dem Nordirak mit dem prominenten Muttermal am Kinn ein bekanntes Gesicht und in aller Munde. Nadia Murads Thema, für das sie unermüdlich trommelt: Der Genozid an den Jesidinnen und Jesiden durch den so genannten „Islamischen Staat“ und da vor allem die brutale, sexualisierte Gewalt, die den Frauen angetan wurde. Murad selbst hat den Großteil ihrer Familie durch den IS verloren und wurde von den Terroristen über Monate vergewaltigt und gefoltert.
Eine dürfte sich über diesen Nobelpreis ganz besonders gefreut haben und vor allem über die große Aufmerksamkeit, die ihr berufliches Lebensthema damit bekommen hat. Monika Hauser heißt die heute 63-jährige Gynäkologin, eine Südtirolerin, in der Schweiz aufgewachsen, die sich Anfang der Neunziger Jahre mit Mitte 30 dazu entschlossen hatte, ihrer eigenen, großen Empörung Taten folgen zu lassen. Sexualisierte Gewalt war ein Thema, mit dem sich die Ärztin schon früh intensiv beschäftigt hat. Als angehende Gynäkologin zum Beispiel suchte sie in ihren ersten Jahren in Krankenhäusern nach interdisziplinären Wegen zur Begleitung vergewaltigter Frauen. Das Thema war für sie gleichzeitig immer ein politisches und eines, das unbedingt mit gesellschaftlicher Aufklärung verbunden sein muss. Am Balkan waren damals die Gräueltaten an Frauen bekannt geworden, die Massenvergewaltigungen und die Folterungen. Und seither hat Hauser dieses Thema nie mehr losgelassen.
1993 gründete sie als Konsequenz „medica mondiale“, eine Organisation, die sich als Anlaufstelle und Hilfe für diejenigen Frauen versteht, die im Krieg sexualisierte Gewalt erlebt haben. Die oftmals schwanger geworden sind, Kinder bekamen von ihren Peinigern und mit all diesen Traumata alleingelassen wurden. Vieles in ihrem Beruf hat für Hauser mit Respekt zu tun, mit Empathie und Mitgefühl. „Wir nennen diese Frauen nicht Opfer, das sind sie nicht. Sie sind Überlebende“ so Hauser im SZ-Interview. 2008 hat sie für ihr Engagement den „Right Livelihood Award“ bekommen, der gern als „Alternativer Nobelpreis“ bezeichnet wird. Dass Vergewaltigung nicht als Form von Folter anerkannt wird, sei eine Fortsetzung des Verbrechens an sich, warnte sie damals eindringlich in ihrer Rede. Beides, Vergewaltigung und die soziale Ausgrenzung, die diese Frauen „danach“ ertragen müssen, sei dem Denken geschuldet, dass Frauenkörper Männern gehören und „damit ein Anschlag auf männliches Eigentum und Ehre passiert“. Diese Attitude hat sich in vielen Ländern seither nicht fundamental verändert. Und Monika Hauser gehört unverändert zu denen, die das ändern wollen.
Die Anfänge im kalten bosnischen Winter
Die Geburtsstunde von „medica mondiale“ ist also eng mit Hausers eigener Betroffenheit und ihrem Entsetzen verknüpft. Im Winter 1992 war der Krieg am Balkan omnipräsent, auch das deutsche Nachrichtenmagazin „Stern“ berichtete darüber. In recht plakativer Form wurde über ein bis dahin eher vernachlässigtes Thema geschrieben, nämlich über die Vergewaltigungen bosnischer Frauen durch serbische Soldaten, so genannten Tschetniks.
Vergewaltigungen als Kriegswaffe, um Frauen zu brechen, zu stigmatisieren und ganze Familienverbände, ja Dorfstrukturen zu zerstören, sind nun aber nicht unbedingt eine Erfindung serbischer Freischärler gewesen. Sie waren aber damals, in Bosnien, von besonderer Widerwärtigkeit geprägt. Es gab Lager, in denen die gefangenen Frauen systematisch und über lange Zeiträume immer wieder gefoltert wurden - die UN schätzt die Zahl der Vergewaltigungen im dortigen Krieg auf rund 20.000, mit weitaus höheren Dunkelziffern.
Auf diese „Stern“- Geschichte über Massenvergewaltigungen, in einem Europa, dass den Balkankrieg nur langsam in all seiner Entsetzlichkeit wahrnahm und wo die Vereinten Nationen lange eher tatenlos zuschauten, stieß Monika Hauser also damals. Und entschloß sich mutig, selbst nach Bosnien zu fahren und aktiv zu werden. Nicht mehr nur empört zu sein. In einem Radiointerview über diese Zeit sagt sie, es sei „damals etwas in mir aufgebrochen, ich wollte nicht, dass so über Frauen gesprochen wird und sie nochmals traumatisiert werden, die Medien waren ja sehr sensationsheischend. Ich wollte diesem Kriegswahnsinn etwas Kraftvolles, Empathisches entgegensetzen.“ Und die angehende Frauenärztin, die zum dem Zeitpunkt schon einige Jahre Krankenhauspraxis hinter sich hatte, ließ tatsächlich Taten folgen.
„Ich setzte mich also in den letzten Dezembertagen 1992 in Bewegung und fuhr nach Zenica, das ist eine bosnische Stadt, in der damals über 100.000 Flüchtlinge dahinvegetierten, zusammengepfercht in Schulen und Turnhallen. Dort fanden sich recht schnell 20 bosnische Fachfrauen, Ärztinnen, Psychologinnen, die mit mir ein interdisziplinäres Frauenzentrum auf die Beine stellten“ so Hauser. Der Plan: Traumatisierte Frauen schnell, kostenlos und mit viel Empathie zu behandeln. So etwas wie eine sensible Sprache zu etablieren, abseits der plakativen Medienberichte. Die Motivation der Kolleginnen vor Ort sei extrem groß gewesen, erzählt Hauser.
„Medica Zenica“, wie dieses erste Projekthaus getauft wurde, war geboren und galt schnell als Zufluchtsort für Frauen, die im Krieg Furchtbares erlebt hatten. Herzstück war damals der Lebensraum für 20 Frauen mit ihren Kindern und eine psychosoziale Beratungsstelle, zusätzlich gab es einen Operationssaal und eine mobile gynäkologische Praxis. Der Zulauf war enorm und recht bald entstanden ein zweites, dann ein drittes Haus, alle in oder nahe der zentralbosnischen Stadt Zenica gelegen. 4000 Frauen wurden im ersten Jahr medizinisch und psychologisch betreut und das unter teilweise enorm schwierigen Bedingungen.
„Ich will keine Funktionärin des Leids sein!“
Diese ersten Schritte einer Organisation, die heute von der Demokratischen Republik Kongo bis nach Afghanistan, von Westafrika bis in den Irak, präsent ist und 60 fixe Mitarbeiterinnen hat, hatten ihre Gründerin enorm viel Kraft gekostet – bis zum eigenen erschöpfungsbedingten Zusammenbruch. In einem intimen Porträt, das 2001 in der deutschen „Hebammenzeitschrift“ erschien, bekennt sie: „In Deutschland lernt man in Seminaren, Grenzen zu ziehen zu den Opfern sexuellen Missbrauchs, damit bei uns (den Helferinnen, Anm. d. Red.) keine Sekundärschäden entstehen. Die sind in Zenica verwischt: Wir lebten alle in derselben Kriegssituation, redeten über unsere Angst, um sie nicht runterzuschlucken." Hauser bleibt 1993 fast die ganze Zeit über vor Ort, obwohl die Front immer näher rückt. Und sie bleibt berührbar, berührt von den Ereignissen um sie herum.
Dieses Mit-Fühlen hat sie sich bewahrt, auch heute, nach fast 30 Jahren Arbeit mit traumatisierten Frauen. Nein, man stumpfe auch nach so langer Zeit nicht ab, meint sie im „SZ“-Interview, sie wolle „keine Funktionärin des Leids“ werden, „wenn ich diese Berührbarkeit nicht mehr hätte, müsste ich aufhören“.
Die heute 63-jährige, die in der Ostschweiz aufgewachsen ist und Südtiroler Eltern hat, ist eine prägnante Erscheinung mit wachem Blick, kurzem, dunklen Haarhelm und klarer, tiefer Stimme. Sie gilt damals wie heute als jemand, der keine Angst hat anzuecken und Konfrontationen nicht scheut, im Gegenteil. Schon als sehr junger Mensch war Monika Hauser damit konfrontiert, dass Frauen in ihrer Familie Gewalt erlebt hatten, vor allem die Großmutter, „mit der die Spaziergänge, die gemeinsamen, schon etwas Besonderes waren“, wie sie in einem Filmporträt erzählt. Die Traumata, die da unverarbeitet an die nächste Generation weitergegeben werden, weil immer geschwiegen wurde – damit sei bei ihr Schluß, meint sie mit Blick auf die eigene Geschichte.
In ihrer Arbeit als junge Spitalsärztin bleibt sich Hauser treu und behält ihren kritischen Blick. Den Zorn auf unsensible Kolleginnen und Kollegen, die die Frauen auf der Gynäkologie – Frauen, die Abbrüche und Fehlgeburten erlebt hatten – mit wenig Gespür behandeln. Mit derselben Entschlossenheit, die sie später bei der Gründung von „medica mondiale“ zeigt, ging sie auch hier in medias res, startete Selbsthilfegruppen mit befreundeten Psychologinnen, kümmerte sich. Und schon da zeigte sich: Da brennt eine für ihre Aufgaben. Aber trotz allem Engagement: Der Klinikalltag fordert seinen Tribut. Im Sommer 1992 zieht Monika Hauser daher einen ersten Schlußstrich unter die Arbeit im Spital. Und im Winter geht es los mit der alles verändernden Reise nach Bosnien.
Die Kernanliegen von „medica mondiale“ sind seither gleichgeblieben: Frauenrechte, und die vor allem im Krieg. Hauser betont hier immer wieder, wie wichtig Sprache in dem Zusammenhang ist, denn Worte wie „Sexsklavin“ oder „sexuelle Gewalt“ würden suggerieren, dass auch die Frauen Sex hätten. Es ginge aber um einen puren Gewaltakt und deshalb auch um Überlebende, die sexualisierte Gewalt erlebt hätten.
Weitere „medica mondiale“ Projektreise führte Monika Hauser etwa in den Nordirak. Dort ist, wie eingangs erwähnt, die sexualisierte Gewalt von IS-Terroristen an Frauen ein großes Thema. „Jedes unbehandelte und unterdrückte Trauma wirkt fort. Es zerstört das Gesellschaftsgefüge auf lange Zeit.“, so Monika Hauser eindringlich in ihrer Eröffnungsrede auf der dortigen Friedenskonferenz. Frauen wie sie und Nadia Murad tragen ihren Teil dazu bei, das Schweigen über dieses Tabu zu brechen.
Was „medica mondiale“ (aus)macht
„Medica Zenica“ wurde am 4. April 1993 von der damals angehenden Gynäkologin Monika Hauser gegründet. Kurz darauf, im Sommer 1993 entsteht der Verein „medica mondiale“ in Köln. Aktuell engagiert sich die Organisation mit insgesamt 60 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen für Projekte in Afghanistan, Bosnien-Herzegowina, Burundi, Deutschland, DR Kongo, Elfenbeinküste, Irak, Kolumbien, Kosovo, Kroatien, Liberia, Ruanda, Serbien, Uganda. Zusätzlich gibt es 30 Partnerorganisationen sowie die von „medica mondiale“ aufgebauten, heute eigenständigen Organisation „Medica Afghanistan“, „Medica Kosova“, „Medica Gjakova“ und die Gründungsorganisation „Medica Zenica“. Deren Mitarbeiterinnen haben mehr als 150.000 Frauen und Mädchen durch psycho-soziale, rechtliche, medizinische Beratung und Angebote zur Existenzsicherung unterstützt. Seither wurden rund 310 Projekte gefördert, rund 63 Mio. Euro konnten dafür zur Verfügung gestellt werden. Immer wieder werden zudem Aufklärungskampagnen wie „#Kein Krieg auf meinem Körper“ gestartet.
Finanziert wird die Organisation aus Spenden, Zuweisungen und Zuschüssen. Auch Spenden, Vermächtnisse und Bußgelder gehören dazu. Bei letzterem weisen etwa Richter und Richterinnen Verurteilte an, ihre Geldstrafe der gemeinnützigen Arbeit von „medica mondiale“ zukommen zu lassen.
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