„Die Camargue ist wie alle Deltas wirklich an der Frontlinie des Klimawandels“, sagt Jean Jalbert, Leiter des Forschungszentrums Tour du Valat in der Camargue. Seit etwa zehn Jahren sei eine beachtliche Menge Niederschlag ausgeblieben, bei hohen Temperaturen sei das wenige gefallene Wasser stärker verdunstet. Auch die Rhône, die sich durch das Delta zieht, führt weniger Wasser, wie Jalbert erklärt. Weil das den Fluss speisende Gletschereis in den Französischen und Schweizer Alpen schwindet, werde der Fluss langfristig noch schwächer.
All das führt dazu, dass die Böden und das Wasser in der Camargue zunehmend versalzen. Salzhaltiges Wasser aus unteren Schichten steigt auf. Meerwasser dringt weiter flussaufwärts ins Landesinnere vor. Während bis 2016 geschätzt eineinhalb Millionen Tonnen Salz in den Lagunen der Camargue waren, sollen es heute etwa vier Millionen Tonnen sein, wie Jalbert sagt.
Auswirkungen hat das auf die Natur, aber auch auf die Landwirtschaft. Ein Großteil des in Frankreich angebauten Reises stammt aus der Camargue, etwa 2000 Jobs hängen an der Industrie. Auch Wein wird hier produziert. Vor gut zehn Jahren haben Jalbert und sein Team auf dem Gut Domaine du Petit Saint-Jean eine Reisernte verloren, weil das gepumpte Wasser zu salzhaltig war. „Was vor kurzer Zeit ein Unfall war, droht in den kommenden Jahren die Norm zu werden“, sagt der Agraringenieur.
„Gräser auf Weideland sterben“
Probleme bereitet der salzige Boden auch Stierhalter Frédéric Raynaud. Gräser auf seinem Weideland würden sterben, wie er dem Sender TV5 Monde sagte. Die Landwirtschaftskammer der Region Okzitanien, in der ein Teil der Camargue liegt, fürchtet, dass wegen des Salzes mancherorts künftig vollständig auf einige Kulturen wie Wein verzichtet werden muss.
Auf lange Sicht ist das größte Risiko für die Camargue, in der 70 Prozent des Landes weniger als einen Meter über dem Meeresniveau liegen, aber der steigende Meeresspiegel. Stierhalter Raynaud verfügte vor gut 50 Jahren noch über 1000 Hektar. Heute schätzt er sein Land auf nur noch 850 bis 900 Hektar.
Das Meer trägt in dem Delta an manchen Stellen Sand von der Küste ab und setzt es andernorts wieder ab. Mit steigendem Meeresspiegel ist das Ganze jedoch kein Nullsummenspiel mehr, wie Forscher Jalbert erklärt. „Wir werden (Land) verlieren.“ Auch auf heftige Überschwemmungen müsse sich die Bevölkerung einstellen.
„Für mich gibt es keinen Zweifel daran, dass die Camargue eines Tages unter Wasser sein wird“ - wohl noch nicht in diesem Jahrhundert, aber vielleicht in ein oder zwei Jahrhunderten, schätzt Jalbert. „Auf jeden Fall wird es im Lauf der Jahrzehnte immer schwieriger werden, das Land zu halten. Man wird sich anpassen müssen, Teile dem Meer überlassen, andere Teile halten.“
Umsiedlung eines Ortes droht
Das direkt an der Küste gelegene Örtchen Saintes-Maries-de-la-Mer wird laut Jalbert früher oder später umgesiedelt werden müssen, außer man wolle daraus eine ummauerte Insel machen. Unter den Bewohnern des Ortes ist von Angst vor den Folgen des Klimawandels bisher nicht viel zu spüren. Ein Rentner erzählt auf einem Boot gelassen, schon seit seiner Geburt werde gesagt, die Camargue werde verschwinden.
Diese Haltung ist womöglich auch einem Neffen Napoleons zu verdanken. Nach verheerenden Überschwemmungen im Jahr 1856 besuchte Napoleon III. unter anderem die Camargue und veranlasste, Frankreich besser vor eindringendem Wasser zu schützen. Jalbert zufolge herrscht in der Camargue seither der Gedanke vor, dem Wasser standhalten, gegen es gewinnen zu wollen.
Dass das Delta dynamisch ist, habe man aus den Augen verloren. Der Klimawandel zwinge zu einem anderen Blick. Anpassung sei aber möglich, ist Jalbert zumindest mit Blick auf Agrarprodukte überzeugt. Stierhalter Raynaud ist skeptischer, hat bereits nach Grund anderswo geschaut, wie er dem Sender TF1 erzählte. Um vielleicht irgendwann sein Land direkt an der Küste zu verlassen. „Wir haben keine Lust, aber vielleicht wird das Meer uns dazu zwingen.“