Statt der Massen, die sich sonst zur Wallfahrt an dem schwarzen Gebäude drängen, sind es nun geordnete Reihen. Fast fühlt man sich bei den Bildern an eine Choreographie oder eine kreisende Parade erinnert.
Wegen des Coronavirus sind es nur wenige Tausend Pilger, die zur Wallfahrt Hadsch (Hajj) in Saudi-Arabien zugelassen sind. Die Pandemie hat im Königreich, das mit etwa 270.000 gemeldeten Infektionen vergleichsweise stark betroffen ist, große Sorgen geweckt. Das religiöse Massenereignis, zu dem vergangenes Jahr 1,8 Millionen Menschen aus dem Ausland anreisten, könnte das perfekte Umfeld für nächste Infektionswellen bieten.
Zum diesjährigen Hadsch, der am Mittwoch begann, hat die Regierung in Riad deshalb die strengsten Auflagen in der jüngeren Geschichte des Landes verhängt. Nur Gläubige unter 65 Jahren ohne chronische Vorerkrankungen, die sich bereits in Saudi-Arabien aufhielten, sind zugelassen. 70 Prozent von ihnen sind Arbeitsmigranten aus etwa 160 Ländern, 30 Prozent sind saudische Staatsbürger. Unzählige, die lange Geld sparten für die Pilgerfahrt und damit für die Erfüllung einer religiösen Grundpflicht, dürften schwer enttäuscht sein.
„Es ist eine sehr wichtige Mission für uns“
„Es ist ein sehr besonderes Jahr und ein sehr besonderes Ereignis“, sagt ein Mann aus der Türkei der regierungsnahen Zeitung „Saudi Gazette“. Er arbeitet als Lehrer in Riad und ist einer derjenigen, die zugelassen wurden. „Es ist eine sehr wichtige Mission für uns.“ Wegen Corona sollten die Pilger vorsichtig sein, warnt ein aus Aserbaidschan stammender Arzt, der ebenfalls zugelassen wurde. Die Hadsch-Pilger dieses Jahr hätten „das größte Glück“, schreibt ein Nutzer bei Twitter unter das Video zu dem Interview.
Tatsächlich wäre die Gefahr einer Ansteckung wohl an wenigen Orten so groß wie bei der fünftägigen Wallfahrt in Mekka. Hunderttausende folgen dort normalerweise dicht gedrängt den muslimischen Ritualen. Sie wohnen in Zeltstädten, teilen Handtücher, Kleidung und Handys miteinander. Sie fahren in vollen Bussen zwischen den religiösen Stätten hin und her und essen gemeinsam. Der Hadsch zieht seine starke Symbolkraft auch aus dem Gefühl der Gemeinde, wenn dort massenhaft Gläubige gemeinsam speisen, beten und Buße tun.
Es gebe einen „strategischen Plan und strikte Gesundheitsprotokolle“, sagt Hadsch-Minister Mohammed Salih Bintin. Neben Maskenpflicht und Abstandsregeln ist für jede Gruppe aus 50 Pilgern ein Arzt zuständig, der die Einhaltung der Regeln prüft und Verdachtsfälle meldet. Das Wasser vom heiligen Samsam-Brunnen gibt es jetzt in Plastikflaschen. Selbst für das symbolische Steinigen des Teufels werden sterilisierte Kieselsteine in Tüten verteilt. Vor und nach der Wallfahrt müssen sich die Pilger eine Woche in Quarantäne begeben.
Der Hadsch: Gratwanderung für Saudi-Arabien
Für Saudi-Arabien ist es ein Balanceakt. Das Königreich muss das Virus eindämmen, ist aber auch Hofmeister beim wichtigsten religiösen Ereignis der muslimischen Welt. Zugleich beschert der Hadsch dem Land normalerweise Einnahmen in Milliardenhöhe. Branchen wie der Gastronomie, dem Hotel- und Tourismusgewerbe, die auf die Wallfahrt angewiesen sind, brechen die wichtigsten Einnahmen des Jahres weg. Selbst Bauern im ostafrikanischen Somalia, die sonst massenhaft Kühe, Schafe und Ziegen für den Verzehr in Mekka verkaufen, klagen über leere Taschen.
Wie groß der Frust bei einigen sein muss über die diesjährigen Beschränkungen, zeigte sich vergangene Woche: 16 Menschen wurden in Mekka beim Versuch festgenommen, sich unerlaubt Zugang zu den heiligen Stätten zu verschaffen, wie der Sprecher für öffentliche Sicherheit mitteilte. Gegen jeden von ihnen wurde eine Strafe von umgerechnet rund 2600 Dollar verhängt. Die „Saudi Gazette“ berichtete sogar, dass rund 240 Menschen festgenommen worden seien.