Medizingeschichte

„Reproduktion minder wünschenswert"

Ein glühender Deutschnationaler mit jüdischen Wurzeln, der als Neurologe und Psychiater gleichermaßen versiert war: Erwin Stranskys Todestag jährt sich heute zum 60. Mal. 1938, nach dem so genannten „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland, wurde der Wiener vom damaligen Dekan Eduard Pernkopf aufgefordert, seine Lehrtätigkeit an der Universität niederzulegen. Stranskys Ansichten sowie seine Sympathien für den frühen Nationalsozialismus machten und machen ihn allerdings zu einer nicht unumstrittenen Persönlichkeit. 

Eva Kaiserseder

350 Lehrende, Professoren, Universitäts- und Privatdozenten wurden 1938 an der Universität Wien verfolgt und schlußendlich vertrieben, davon über 200 aus „rassischen" und rund 130 auch aus „politischen" Gründen.“ Die Lebensgeschichten hinter den nackten Zahlen sind nachzulesen im  „Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938“, einem groß angelegten biografischen Projekt der Wiener Universität.

Der Neurologe Erwin Stransky war einer derjenigen, die kurz nach dem so genannten Anschluss von der Medizinischen Universität vertrieben wurden. Egal, dass er deutschnationalistisch-radikalen Ideen frönte, unerheblich, dass er schon 1902 zum evangelischen Glauben konvertiert war: Laut den kruden Regeln rund um Ariernachweis und Rassebestimmungen der Nazis galt Stransky als Jude. Mit all den damit verbundenen Einschränkungen und Diskriminierungen.

Berufliche Zäsur

Geboren wurde Stransky am 3. Juli 1877 in Wien als Sohn eines Fabrikanten. Zur Schule ging er in der Leopoldstadt, am heutigen Sigmund-Freud-Gymnasium. Gleich nach Abschluss seines Studiums wurde er für einige Jahre Assistent von Julius Wagner-Jauregg, der damals die I. Psychiatrische Universitätsklinik leitete. Nach ein paar weiteren Stationen arbeitete Stransky dann ab 1906 als psychiatrischer Gutachter, übrigens bis an sein Lebensende. 1908 habilitierte er sich in den Fächern Psychiatrie und Neuropathologie.

In dieser Zeit „forderte er, wie damals in der universitären und außeruniversitären Psychiatrie weit verbreitet, die Unterwerfung der Patient:innen unter den Willen des Arztes und publizierte wissenschaftliche Artikel darüber, psychisch Kranke – als „psychopathisch Minderwertige" – im Ersten Weltkrieg an die Front zu schicken, da „deren Reproduktion minder wünschenswert" sei und vertrat auch sonst eher radikale deutsch-nationalistische Ansichten“, so der Zeithistoriker Herbert Posch im „Gedenkbuch“.

Stransky vertrat eine antislawische und großdeutsche Haltung mit einer rassistisch-biologistisches Fundierung und war überzeugter Deutschnationalist. Später galt er als Unterstützer illegaler Nationalsozialisten während des austrofaschistischen Dollfuß-Regimes. Bis 1938 die berufliche Zäsur erfolgte: Trotz seiner politischen Gesinnung wurde Stransky seines Lehramtes enthoben. Was ihn allerdings durch die Jahre des NS-Regimes hindurch rettete, war seine „arische“ Frau Josefine: Die Ehe mit der Opernsängerin erlaubte ihm, in Wien zu bleiben.

Schizophrenie als Fokusthema

Seine wissenschaftliche Arbeit umfasst laut Eintrag in der Biografie der Österreichischen Akdemie der Wissenschaft „rund 200 Beiträge und ein breites Spektrum auf den Gebieten Psychiatrie, Neurologie und ihrer verwandten Wissenschaften. Stransky verfasste Arbeiten über manisch-depressive Erkrankungen, zur Anatomie der entzündeten Nerven, über angewandte Psychopathologie sowie Multiple Sklerose und ihrer Fremdbluttherapie. Darüber hinaus bereicherte er die Fachwelt durch zahlreiche Beiträge, die sich u. a. mit progressiver Paralyse, Epilepsie oder dem Korsakow-Syndrom befassten.“ Sein zweiteiliges „Lehrbuch der allgemeinen und speziellen Psychiatrie“ (1914 und 1919 veröffentlicht) galt als Standardwerk.

Was ihn allerdings als Mediziner besonders faszinierte, war das Krankheitsbild der Schizophrenie, für die er „als pathologisches Moment die sogenannte intrapsychische Ataxie, Dissoziationen zwischen krankhaften Gedanken und den zugehörigen Affekten, postulierte“, so die ÖAW. Er zählte zu den ersten Psychiatern, die diese Krankheit erforschten und ihre Auswirkungen beschrieben, entsprechend relevant sind seine Arbeiten hierzu. Speziell sein 1953 veröffentlichter Beitrag „Von der Dementia praecox zur Schizophrenie" (Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 72) gilt als wichtige Analyse seiner Schizophrenie-Forschungen und fasst Stranskys wissenschaftliche Entwicklung zusammen.

Stransky war zudem ein großer Befürworter der Psychotherapie und gleichzeitig ein Gegner der klassischen Psychoanalyse. Der Hausarzt galt ihm als wesentlicher Ansprech für Patient:innen. Darüber hinaus gründete er mit dem Psychiater und Neurologen Otto Kauders die österreichische Gesellschaft für Psychohygiene. Ein „Leitfaden der psychischen Hygiene“ wurde 1931 publiziert. Zudem gründete er schon 1920 einen eigenen Verein für angewandte Psychopathologie und Psychologie.

Nachkriegsneubeginn

1945, der Krieg war gerade vorbei, wurde der beinahe 70-jährige Stransky damit beauftragt, die stark durch Bomben beschädigte Wiener Nervenheilanstalt am Rosenhügel wiederaufzubauen. Recht bald galt die Nervenheilanstalt als wichtiges neurologisches und psychiatrisches Zentrum. Sie existiert noch heute als ein Teil des Krankenhauses Hietzing. 1947 emeritierte Stransky schließlich, er war allerdings noch bis 1951 als Honorarprofessor tätig und ging 74-jährig in den Ruhestand. Am 26. Jänner 1962 starb er in Wien.

Seine fachliche Relevanz scheint unbestritten, trotzdem gibt es rund um die Person Stransky und dessen politische Haltung und Einstellung unterschiedliche Meinungen. So zählt er etwa laut dem Van Swieten Blog der Medizinischen Universität Wien im Forschungsprojektendbericht der Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte“ (Oliver Rathkolb, Peter Autengruber, Birgit Nemec und Florian Wenninger) zur Gruppe B, den „Fällen mit Diskussionsbedarf“:

„Hier haben wir Personen zusammengefasst, die in ihrer Arbeit Formen von Antisemitismus und Rassismus punktuell aufgenommen und kommuniziert haben bzw. indirekte Verantwortung für Gewaltanwendung tragen bzw. nach 1918 offensiv antidemokratisch aufgetreten sind bzw. durch ihre öffentliche Reputation und ihr Wirken den Nationalsozialismus indirekt – wenngleich politisch nicht eindeutig– gestützt haben. Andere Kriterien sind die Nähe zu hochrangigen NS‐Regimevertretern, bzw. dass sie NS‐Gedankengut sichtbar mitgetragen haben. Einfache NSDAP‐Mitglieder ohne nachhaltige Wirksamkeit in der NS‐Zeit haben wir hier nicht in diese Kategorie eingestuft. Auch für diese Gruppe B gilt, dass neue tiefgreifende Forschungsergebnisse unter Umständen eine Änderung der Kategorisierung nach A oder C nach sich ziehen können“ so die Autoren.

 

Gedenkbuch der Universität Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erwin Stransky Porträt
Erwin Stransky
Sammlungen der Medizinischen Universität Wien – Josephinum
Ehrengrab Stransky
Das Ehrengrab Erwin Stranskys am Wiener Zentralfriedhof.
viennatouristguide.at