„Eingestürzte Ruine“ laut Netzwerk

Sozialhilfe: Armutskonferenz für „Sanierung“, auch Rauch für Reform

Die Armutskonferenz hat einen Tag nach dem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs, wonach mehrere Bestimmungen der Sozialhilfe verfassungswidrig sind, eine „Sanierung“ derselben gefordert. Von der Sozialhilfe sei „nur mehr eine eingestürzte Ruine über“, so das Netzwerk. Die Diakonie forderte eine „Rückkehr zum Prinzip der Mindest-Sicherung“. Auch Minister Johannes Rauch (Grüne) wäre für eine Reform, hält eine Umsetzung in dieser Legislaturperiode aber für wenig realistisch.

red/Agenturen

Sozialminister Rauch wiederholte nach der Ministerratssitzung am Mittwoch seine Aussagen vom Vortag, wonach er nie einen Hehl daraus gemacht habe, „dass der Sachleistungszwang problematisch ist“ - und nicht verfassungskonform, „wie sich jetzt herausgestellt hat“. Die Regierung habe bereits in der Vergangenheit einige Anpassungen im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG) vorgenommen, so Rauch. „Ich bin dafür, das insgesamt zu reformieren. Die Aussicht, dass das noch in dieser Legislaturperiode geschehen kann, schätze ich nicht als besonders hoch ein“, räumte er aber ein.

Seitens des Koalitionspartners ÖVP machte deren Klubobmann August Wöginger im Pressefoyer nach dem Ministerrat dann auch deutlich, dass seine Partei den Status quo nicht zu ändern gedenkt: Man habe sich damals (2019, unter der schwarz-blauen Bundesregierung, Anm.) dazu entschieden, ein Rahmengesetz zu machen, die Länder haben einen „Spielraum“. „Wir haben immer Unterschiedlichkeiten gehabt bei Sozialhilfe - weil es Ländersache ist.“ Er habe „kein Problem damit“, betonte Wöginger. Wichtig sei, dass die VfGH-Erkenntnisse berücksichtigt werden.

Der VfGH gab am Vortag bekannt, dass es verfassungswidrig ist, dass die Länder für die Deckung eines erhöhten Wohnbedarfs (oder um besondere Härtefälle zu vermeiden) ausschließlich Sachleistungen gewähren dürfen (wie im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz festgelegt). Zwar sei einerseits das Ziel des Sachleistungsgebots legitim - nämlich die Verwendung von Leistungen für jenen Zweck sicherzustellen, für den sie gewährt werden. Höheren Leistungen - etwa für Mietkosten - steht andererseits aber ein höherer Bedarf gegenüber, den Hilfsbedürftige nicht beeinflussen können, z.B. besonders hohe Mieten. „Es kann also sachliche Gründe dafür geben, auch Zusatzleistungen durch Geld abzudecken“, so der VfGH.

Die Armutskonferenz forderte am Mittwoch eine breite Reform: „Wir müssen ein neues sicheres Gebäude bauen, das Existenz, Chancen und Teilhabe sichert“, verlangte das Netzwerk in einer Aussendung eine „ordentliche Sanierung“.

Direkte Überweisung der Miete mitunter sinnvoll

Die flexible Auszahlung von Geld- wie Sachleistungen sei „hilfreich“, so die NGO. „In bestimmten Fällen kann die direkte Überweisung der Miete sinnvoll sein, z.B bei einer Suchterkrankung oder einer psychischen Krise - aber als zu begründende Ausnahme, wie es in der Mindestsicherung früher auch möglich war.“ Pauschal angeordnete Sachleistungen würden hingegen weniger Selbstständigkeit bedeuten und könnten zu Stigmatisierung führen, denn: „In der schlechten Sozialhilfe weiß der Vermieter oder der Stromlieferant genau Bescheid, dass da einer Sozialhilfe hat.“ Aus der Praxis wisse man, „dass das eher zu Ungunsten der Betroffenen ausgeht“, so die Armutskonferenz zu der nun vom VfGH aufgehobenen Bestimmung.

Die Diakonie rief das Parlament am Mittwoch zur „dringenden Reform“ und „zur Rückkehr zum Prinzip der Mindest-Sicherung“ auf. Durch die Umstellung auf das Modell der Höchstsätze in den Sozialhilfegesetzen sei diese Garantie aufgegeben worden. „Jetzt in der Teuerung brauchen wir eine Sozialhilfe, die gegen Armut wirkt. Doch das Sozialhilfegesetz versagt in der Krise“, so die Hilfsorganisation in einer Aussendung.

„Die Höchst-Sätze statt der Mindest-Sicherung verhindern weiterhin, dass ausgezahlt werden muss, was die Menschen für das Mindeste brauchen“, kritisiert Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. „Weiterhin gibt es also nur diese `Höchst ́sätze statt Mindeststandards, weiterhin gibt es zu wenig fürs Wohnen, weiterhin existiert die Pflicht zur Unterhaltsverfolgung bei Menschen mit Behinderungen, weiterhin ist das Ziel der Armutsbekämpfung im Sozialhilfegesetz gestrichen.“ Die Diakonie schlägt deshalb eine Abkehr vom System der Höchst-Sätze und die Wiedereinführung von Mindest-Standards vor, die den Ländern die Gewährung von höheren Leistungen ermöglichen würden.

Die Wiener Grüne Parteivorsitzende, Judith Pühringer, zeigte sich am Mittwoch über den VfGH-Entscheid erfreut: „Der Verfassungsgerichtshof hat dem türkis-blauen Sozialhilfegesetz mit dem jüngsten Entscheid einen weiteren Giftzahn gezogen.“ Damit liege der Ball nun endgültig bei der rot-pinken Stadtregierung, zielgerichtete Unterstützungen für armutsbetroffene Menschen in Wien umzusetzen, erklärte sie in einer Aussendung.