„Diagnose“ der Stadtpsychologin

Wien ist freundlicher geworden

Der Grant gehört immer noch dazu, aber: Wien ist in den vergangen Jahren tendenziell freundlicher und toleranter geworden. Zumindest besteht bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Wunsch nach einem respektvollen Umgang miteinander. Zu dieser Erkenntnis kommt Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak, nachdem sie sich nach 20 Jahren erneut mit dem „Wesen Wien“ beschäftigt hat. Eher abnehmende Toleranz zeichnet sich ab, wenn es um Autos geht.

red/Agenturen
„Vielleicht steckt hinter dem Granteln doch das goldene Wienerherz.“ Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak

2003 hat die Psychologin erstmals versucht, das Wesen der Stadt zu begreifen. Im Rahmen von Zielgruppeninterviews wurden die Teilnehmer gebeten, ihre Wahrnehmungen über ihr Leben in Wien zu berichten. Damals war das Klischee, dass viele Menschen in der Stadt eher zur unfreundlichen Sorte gehören, offenbar noch zutreffender. Jedenfalls erlebten viele der Befragten die ruppige Art als etwas belastendes, das sie im Alltag nervt.

20 Jahre später hat sich die Situation nicht um 180 Grad gewendet. Rund zwei Drittel der 77 Personen, die an der Studie teilgenommen haben, waren der Meinung, dass die Wiener mehr granteln als Menschen in anderen Städten. Aber: Immer öfter wird das Verhalten der Mitmenschen ambivalent erlebt. Sie werden als unfreundlich, aber auch als herzlich, als grantig, aber auch schmähführend oder gemütlich wahrgenommen, berichtete Ehmayer-Rosinak bei der Präsentation der Ergebnisse. „Vielleicht steckt hinter dem Granteln doch das goldene Wienerherz.“

Die Ambivalenz zeigt sich auch beim Verhältnis zur Multikulturalität. Diese wird prinzipiell als zu Wien gehörend empfunden. Zugleich gebe es aber auch Studien, wonach Zugewanderte Wien als sehr unfreundlich empfinden, gab die Studienautorin zu bedenken. Generell wünschen sich die Wienerinnen und Wiener laut der Stadtpsychologin aber mehr Toleranz, Frieden und weniger Fremdenfeindlichkeit. Ausgerechnet die Corona-Pandemie hat hier offenbar dazu geführt, dass man sensibler auf die Bedürfnisse der Mitmenschen reagiert und man in der Nachbarschaft wieder mehr Kontakte pflegt, vermutet sie.

Wien ist ein „Dorf“

Das Grätzel wird der Erhebung zufolge überhaupt als wichtig empfunden. Zugleich wird Wien laut Ehmayer-Rosinak selbst als „Dorf“ wahrgenommen - also als sehr lebenswerte Stadt, die sich dadurch auszeichnet, dass man nicht immer nur das Gefühl hat, in einer Großstadt zu leben. Ein Bild hat sich laut der Psychologin aber ebenfalls ergeben: Der öffentliche Raum wird immer wichtiger.

Hier sahen die Befragten offenbar relativ großen Nachholbedarf. Immer wieder wurde laut der Studie urgiert, Verkehr zu reduzieren und auch Parkplätze wegzunehmen. Sogar Forderungen, ganz Wien autofrei zu machen oder zumindest SUVs zu verbieten, wurden laut. „Da hat sich echt was geändert“, zeigte sich die Stadtpsychologin überzeugt. Auch mehr Öffis und generell mehr Mitsprache wurden immer wieder verlangt.

Gefragt wurde auch, ob es „typische“ Wienerinnen oder Wiener noch gebe. Dies wurde großteils bejaht, auch wenn die Geschlechter hier höchst unterschiedlich beurteilt wurden. Wienerinnen haben demnach frisierte Haare und sind geschminkt, die Männer zeichnen sich hingegen durch Bierbauch und Glatze aus. Insgesamt wurden die Bewohner der Hauptstadt als „ein bisschen schlampig, ein bisschen elegant“ beschrieben.

Kellner Ober
Der Grant ist in Wien noch zugegen, aber: Die Stadt ist in zuletzt tendenziell freundlicher und toleranter geworden.
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