Interview

„Eine 1:1 Geburtsbetreuung ist einigermaßen utopisch"

Monika Däuber arbeitet als freiberufliche Hebamme in Wien. medinlive hat mir ihr darüber gesprochen, wohin sich der Beruf entwickelt hat, wie die Situation um den (Hebammen)Nachwuchs bestellt ist und wie die Ängste und Sorgen der werdenden Eltern aussehen.

Eva Kaiserseder

medinlive: Wie hat sich der Beruf der Hebamme seit ihrem Berufseinstieg verändert?

Monika Däuber: Ich bin Hebamme seit 2009 und seither auch frei praktizierend. Unsere Arbeit ist für die Frauen meiner Meinung nach bekannter geworden, sei es die Arbeit im Kreißsaal oder auch die Nachsorge im Wochenbett sowie die Beratungsgespräche. Dass Hebammenarbeit auch eine Kassenleistung ist, auf die man Anspruch hat, unter anderem etwa das Beratungsgespräch via Mutter-Kind-Pass: Auch das ist eine Info, die viel bekannter geworden ist.

medinlive: Wie viele Kassenstellen gibt es denn in Wien momentan?

Däuber: Es sind einige mehr geworden in den letzten Jahren – momentan gibt es 27 Kassenstellen. (Im Vergleich: 2011 waren es 16, Anm.d.Red.) Es ist aber Jahr für Jahr ein großes Thema, dass es für Wien absolut zu wenige Stellen gibt und die Hebammen überlastet sind. Was sich geändert hat: Die Hebammenausbildung österreichweit ist zum FH- Studium, also mit dem Abschluss Bachelor, geworden, an insgesamt sieben Fachhochschulen. Vorher gab es die Ausbildung an der Hebammenakademie, die auch schon dreijährig war. Österreich musste aber umstellen anhand der EU-Richtlinien. Grundsätzlich gab und gibt es aber einen großen Praktikumsanteil in der Ausbildung.

medinlive: Mutter-Kind-Pass und Nachsorge: Haben Sie das Gefühl, Ärztinnen und Ärzte kommunizieren diese Infos gut? Woher erfahren die werdenden Mütter davon?

Däuber: Das ist ganz unterschiedlich, gerade die Ärztinnen und Ärzte, die direkten Kontakt zu Hebammen haben und die auch Einblick in die Arbeit der frei praktizierenden Hebammen haben, finden unsere Arbeit gut. Und da ist auch die Zusammenarbeit von Respekt getragen. Andere, die damit nichts anfangen können und vielleicht auch im Turnus und privat wenig damit zu tun hatten, da wird den Frauen eher kommuniziert, die Arbeit der Hebammen wäre nicht unbedingt essentiell. Das finde ich schade, denn die Hebammenberatung im Mutter-Kind-Pass ist einfach eine Möglichkeit für die Frauen, sich zu informieren.

medinlive: Haben Sie den Eindruck, Frauen wissen Bescheid darüber was Hebammen machen oder besteht da nach wie vor ein blinder Fleck?

Däuber: Es wird besser, würde ich sagen. Viele Frauen kontaktieren uns ganz gezielt und teilweise schon sehr bald, schon ab der zehnten Schwangerschaftswoche oder gar schon nach dem positiven Test. Es gibt aber genauso Frauen, die keine Ahnung haben, dass sie diese Möglichkeit haben. Es gibt eine große Bandbreite. Gerade Frauen mit Migrationshintergrund oder aus schwierigen sozialen Verhältnissen haben oft keine Hebamme, dabei bräuchten diese sie besonders dringend.

medinlive: Haben Sie das Gefühl, bei Geburten ziehen Ärztinnen und Ärzte und Hebammen am selben Strang?

Däuber: Das ist eine spannende und umfassende Frage. Auch hier gilt: Die Bandbreite ist sehr groß. Ich denke, es hängt damit zusammen, ob man sich vertraut und auch, was man voneinander weiß, denn natürlich kommen wir von unterschiedlichen Standpunkten. Hebammen kommunizieren auf einer anderen Ebene mit den Frauen als Ärztinnen und Ärzte und haben tendenziell mehr Zeit dafür. Wir sehen die Frauen lieber von der Physiologie her und wollen sie auch so betreuen, das ist unser Bereich. Ärztinnen und Ärzte haben den Blick eher auf die Pathologie. Und oft, wenn sie in den Kreißsaal kommen, ist der externe Blick sehr wertvoll. Ich glaube, es ist grundsätzlich das Wichtigste, miteinander zu reden, den anderen Standpunkt mitzudenken, den Fokus der Frau nicht aus den Augen zu verlieren. Was braucht sie, um gut zu gebären? Im Krankenhaus besteht oft ein enormer Druck, der Geburtsvorgang muss vorankommen, und das soll keinesfalls in einen Konflikt zwischen zwei Berufsgruppen übergehen.

medinlive: Apropos Spitäler: Die WHO empfiehlt ja eine 1:1 Betreuung, also pro Geburt eine Hebamme. Wie realistisch ist das?

Däuber: Soweit ich weiß, können wir kaum einmal eine 1:1 Betreuung bei Geburten garantieren, das ist also einigermaßen utopisch. Mit Ausnahme der Hausgeburtshilfe und den wenigen Geburtsbegleitungen in Wien. Grundsätzlich ist das Rotieren während den Geburten ja auch in Ordnung, wenn sich die Frauen in verschiedenen Stadien befinden, aber manchmal kann man eben nicht allen gerecht werden. Den Personalmangel bekommen im Krankenhaus aber ohnehin alle zu spüren. Und wir wissen, dass eine 1:1 Betreuung für die Geburt gravierende Auswirkungen hat, es gibt niedrigere Sectioraten, die Frauen gebären besser. Im extramuralen Bereich gibt es ebenfalls viel mehr Anfragen als wir bedienen können, wir müssen daher viele Frauen ablehnen, die dann einfach niemanden finden. Was schade ist, denn es bedeutet ohnehin schon viel Stress am Anfang für die Frau, einen Platz im Krankenhaus zu finden und eine passende Hebamme und wenn dann am Ende erst Recht kein zufriedenstellendes Ergebnis steht, ist das enttäuschend. Viele Frauen wünschen sich, ihre vertraute Hebamme mit zur Geburt nehmen zu können, die sie sowohl in der Schwangerschaft als auch im ersten Jahr mit Kind begleiten kann. Vielfach geht es ja auch nicht, „seine“ Hebamme mit zur Geburt zu nehmen, bei den öffentlichen Häusern ist das eher die Ausnahme. Bei Privathäusern wie etwa dem St. Josef geht das. Aber das ist ein Wunsch, den viele Frauen haben, darauf werde ich sehr oft angesprochen.

medinlive: Ist der Mangel an Hebammen auch am Land so deutlich spürbar?

Däuber: Da ich in Wien arbeite, traue ich mich dazu nichts Konkreteres zu sagen, aber ich weiß, dass die Kassenstellen etwa in Niederösterreich proportional besser zu den schwangeren Frauen aufgeteilt sind. (Es gibt in ganz Niederösterreich 60 Kassenstellen für Hebammen, Anm.d. Red.) In manchen Regionen und Bezirken ist es also sicherlich leichter, Kassenhebammen zu bekommen.

medinlive: Wie sieht es mit dem Hebammennachwuchs aus, kommen genug junge Hebammen nach?

Däuber: Die Wiener FH Campus Wien hat einen Studiengang eingeschoben, soweit ich weiß, hier werden an die 40 Hebammen ausgebildet. Was aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Das Hebammengremium Wien hat eine Berechnung aufgestellt, wie das in den nächsten Jahren aussehen wird, und da gibt es noch viel Bedarf.

medinlive: Was sind denn die Fragen, die die werdenden Eltern am Häufigsten stellen? Sind neue Fragen dazugekommen? Die Pandemie lassen wir hier noch außen vor.

Däuber: Es geht vielfach um Ernährung, also was soll oder soll man nicht essen und was muss man sogar unbedingt meiden. Das Thema Bewegung wird auch oft angesprochen und wenn es nicht von den Frauen selbst angesprochen wird, machen wir das, denn es ist enorm wichtig. Das heißt, alles was sich um das Thema Gesundheit dreht, wird besprochen, natürlich auch die psychische Gesundheit: Welche Ängste, Sorgen und Befürchtungen treten auf? Ist man nach der Geburt auf sich gestellt oder gibt es ein tragfähiges Netz? Wir besprechen alle Unterstützungsmöglichkeiten. Natürlich ist auch das Stillen ein großes Thema, viele Frauen haben davor Respekt und auch Angst. Und der Geburtsmodus bzw. der Geburtsort sind vorab natürlich auch ein großes Thema.  

Bei der Nachsorge liegt in den ersten zwei Wochen der Fokus meist auf dem Stillen, es geht um die Gewichtszunahme des Kindes, später dann um die Mutter-Kind-Bindung und das Abheilen der Geburtsverletzungen. Dann verändert sich das Setting, es geht mehr um das Bewältigen des gemeinsamen Alltags, das Leben mit Kind, die Reaktivierung der Sozialkontakte... relativ früh kommt dann auch das Thema Beckenbodengesundheit dazu.

medinlive: Ich selbst habe nach der Geburt meiner Töchter erlebt, dass sich das Mutterbild sehr dynamisch verändert hat, es gibt weniger Dogmen, was richtig oder falsch ist, die Zugänge wurden vielfältiger. Wie sehen Sie das?

Däuber: Es gibt so viele Mutterbilder wie Mütter, finde ich. In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich viel verändert, Frauen begreifen, dass sie nicht alles richtig machen müssen. Oder sie stellen sich überhaupt einmal die Frage, was „richtig“ in Bezug auf Mutterschaft denn bedeutet. Natürlich, die Unsicherheiten sind groß und deswegen ist meine größte Aufgabe als Hebamme, der Mutter zu zeigen: So wie du bist ist es in Ordnung, es ist alles am Werden und ganz „normal“. Vertrau dir, deinem Körper und deinem Kind. Ich erlebe auch, dass die Väter viel mehr involviert sind in den letzten Jahren und sie dieses Involviertsein auch sehr wollen. Sie sind de facto auch immer bei der Geburt dabei. Ein größerer Schub in Sachen Vater-Kind-Bindung ist auch durch die Pandemie passiert, Männer sind plötzlich im Homeoffice gewesen und bekommen den Alltag mit Baby dadurch verstärkt mit. Sie haben den stärkeren Kontakt, also in einer Arbeitspause Windeln wechseln oder füttern, auch genossen, was ja vorher in dieser Form meist aus beruflichen Gründen nicht möglich war.

medinlive: Was sind denn vor der Geburt die klassischen Väterfragen?

Däuber: Sie beschäftigen sich etwa viel mit dem Transport, also: Wie kommen wir zur Geburt rechtzeitig ins Krankenhaus, wie schnell soll und darf ich fahren um bloß nicht zu spät zu kommen? Oft wird natürlich auch gefragt, wie man als Mann während der Geburt unterstützend agieren kann. Viele Männer haben große Angst, im Weg zu sein und „unnütz“ herumzustehen, da wünschen sie sich wirklich konkrete Handlungsanweisungen, wo sie Aufgaben zugeteilt bekommen. Nachher stellen sie dann gerne auch technische Fragen, etwa welcher Autositz der sicherste ist oder welcher Kinderwagen am besten ist.

medinlive: Zum wohl unvermeidlichen Thema Pandemie: Von einem Babyboom kann ja laut Statistik 2020 keine Rede sein, was angesichts der Umstände wenig verwunderlich ist. Homeoffice ist mitnichten Honeymoon. Sehr interessant ist allerdings das Feedback vieler Mütter, die die erste Zeit mit Säugling im Lockdown und während der Pandemie als sehr entspannt empfunden haben. Wie haben Sie das erlebt?

Däuber: Hier muss man ganz klar trennen zwischen der Geburt als Ereignis und der Zeit unmittelbar danach. Dass plötzlich kein Besuch mehr erlaubt war im Krankenhaus, haben fast alle als sehr positiv empfunden. Die Mütter kamen besser zur Ruhe, hatten mehr Zeit, sich einzustellen auf die neue Situation. Viele Frauen waren froh, auch nachher im Wochenbett keine Verwandtschaftsbesuche empfangen zu müssen. Was allerdings ein Stressfaktor war: Die anfängliche Unsicherheit, ob die Väter bei der Geburt dabeisein und danach ins Krankenhaus zu Besuch kommen dürfen. Vielfach gab es dann bei den werdenden Eltern die Überlegung einer ambulanten Geburt oder einer Hausgeburt. Die werdenden Eltern haben da schon sehr gelitten unter diesen Unsicherheiten.

medinlive: Es gab ja eine Zeit lang diese Gerüchte bzw. Berichte, dass Frauen mit Maske gebären müssen. Wie haben Sie das erlebt?

Däuber: Vorweg, ich kann natürlich nicht für alle Krankenhäuser sprechen. Im ersten Lockdown wusste man allerdings einfach nicht, welche Welle da auf uns zurollt und ich kann mir vorstellen, dass da einige Dinge unglücklich gelaufen sind aufgrund der Unerfahrenheit im Umgang mit diesem Virus. Ich selber habe diese konkrete Situation zwar nicht erlebt, aber es erzählen einige Frauen so, daher wird das so passiert sein. In den weiteren Pandemiephasen haben wir daraus gelernt. Mittlerweile wird das Thema bei Geburten sehr entspannt gehandhabt, das heißt: Natürlich bringen die Frauen ihre Kinder ohne Maske zur Welt und die Väter sind anwesend. Momentan sind die häufigsten Fragen übrigens die Impfung betreffend. Meine Antwort: Schwangere, Kontaktpersonen und Stillende sollen und dürfen geimpft werden. Bei meinen Antworten halte ich mich immer an die aktuelle Empfehlung der Impfkommission.

medinlive: Wie hat sich übrigens Ihr eigener Berufswunsch entwickelt?

Däuber: Mir war immer klar, ich möchte in den medizinischen Bereich gehen. Dort habe ich dann viele Praktika gemacht und bin im Zuge eines meiner Praktika zufällig mit einem Arzt in den Kreißsaal gekommen. Dort habe ich ein paar Tage dabeisein dürfen und fand das viel cooler als alles andere (lacht). Man kann auf einer sehr speziellen, anderen Ebene mit den Frauen arbeiten, es ist eine Mischung aus psychologischen und sozialen Aufgaben und so genannter Schulmedizin, man stützt die Frauen sozusagen in ihrer physiologischen Lebensphase mit einem schulmedizinisch kontrollierten Blick. Dieser frauenbestärkende, selbstbestimmte Aspekt meiner Arbeit, den mag ich sehr gerne.

medinlive: Danke für das Gespräch!

Hebamme Monika Däuber_privat
Monika Däuber arbeitet seit elf Jahren als Hebamme. Der Personalmangel in ihrem Beruf ist ein Dauerthema.
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