Ärztekammer für Wien

Moderner Leistungskatalog für Augenheilkunde nötig

Ein Blick über die Grenze zeigt, wie es funktionieren kann: Etliche Leistungen aus dem Bereich der Augenheilkunde und Optometrie, wie die intravitreale operative Medikamentenapplikation („IVOM“) oder Kataraktoperationen, werden in Deutschland längst im niedergelassenen Bereich angeboten – und das großflächig und mit Erfolg. Für Gabriela Seher, selbst Augenärztin und Fachgruppenobfrau Augenheilkunde und Optometrie in der Ärztekammer für Wien, ist das keineswegs überraschend: „Die Patient:innen würden diese Eingriffe auch bei uns gerne in der gewohnten Umgebung der Ordination, möglichst wohnortnah und bei kurzer Wartezeit, absolvieren. Die Leute fragen immer wieder nach, warum das nicht möglich ist.“

red/Agenturen

Bonni Syeda, Sektionsobfrau der niedergelassenen Fachärzte in der Ärztekammer für Wien, ergänzt: „Die Spitäler sind bekanntlich am Limit. Wie in vielen anderen Fächern wäre es auch in der Augenheilkunde und Optometrie höchst an der Zeit, den Leistungskatalog der Krankenkassen zu modernisieren – im Sinne aller Beteiligten.“

„Bei der IVOM ist unser Konzept samt Tarifen fix und fertig. Wir könnten schon morgen mit der Sozialversicherung verhandeln“, sagt Seher. Bei dieser Behandlung, die bei feuchter altersbedingter Makuladegeneration (AMD) zum Einsatz kommt, werden Medikamente in den Glaskörper des Auges injiziert. Dadurch soll das Fortschreiten dieser chronischen Erkrankung gestoppt werden. 

Patient:innen, die an einer feuchten AMD erkranken, leiden unter einer abnormalen Entwicklung von Blutgefäßen im Auge. Diese wachsen unkontrolliert in die Netzhaut und verursachen eine irreversible Verschlechterung des Sehvermögens. Betroffene benötigen in der Regel mehrfache Injektionen. Seher: „Derzeit müssen die Patient:innen zur Behandlung alle zwei bis drei Monate ins Spital. Gerade für ältere Menschen ist das sehr belastend. Die Augenärzt:innen des Vertrauens könnten die Behandlung problemlos in der Niederlassung anbieten.“ Aktuell ist dies aber ausschließlich in Form einer Privatleistung möglich. Jedes Jahr werden in Wien rund 50.000 IVOM vorgenommen. 

Für Syeda zeigt dieses Beispiel einmal mehr, dass der Leistungskatalog der Krankenkassen nicht mehr State of the Art ist. Die Folge: „Einfache Ansätze, um die Spitäler zu entlasten, werden nicht genutzt. Außerdem bleibt das Kassensystem für Ärzt:innen unattraktiv. Gerade die jungen Kolleg:innen wollen moderne Untersuchungs- und Therapiemöglichkeiten anbieten – kurz gesagt: eine moderne Medizin.“ Das sei derzeit aufgrund des veralteten Leistungskatalogs aber nur eingeschränkt möglich. 

Deutschland: 70 Prozent der Star-Operationen im Niedergelassenene Bereich

Dieses Problem zeigt sich auch bei Kataraktoperationen. In den vergangenen Jahren waren diese Eingriffe die mit Abstand häufigsten operativen medizinischen Leistungen in Österreich, die im Spital durchgeführt wurden. Zum Vergleich: In Deutschland werden laut einer Umfrage der Deutschsprachigen Gesellschaft für Intraokularlinsen-Implantation (DGII) aus den Jahren 2020/2021 rund 70 Prozent der Operationen des Grauen Stars bereits im niedergelassenen Bereich erbracht – auch aus Effizienzgründen, um das Gesundheitssystem zu entlasten. 

In Österreich hingegen gibt es in den Tarifkatalogen der ÖGK und der SVS, den größten heimischen Krankenversicherungsträgern, derzeit keine Leistungsabgeltung. Seher: „Die Kolleg:innen, die diese Eingriffe gelernt haben, werden nicht alle im Spital bleiben. Es wäre eine vertane Chance, wenn sie und die vielen hochqualifizierten bereits niedergelassenen Fachärzt:innen für Augenheilkunde und Optometrie diese Leistung in Zukunft nicht in ihren Ordinationen anbieten könnten.“  

Eine andere kurze und nicht schwerwiegende Operation, die derzeit an einen Spitalsaufenthalt gekoppelt ist, ist die Blepharoplastik - die Straffung des Ober- und Unterlides. Konkret handelt es sich um Korrekturen der Schlupflider, die ansonsten zu  dauerhaften Bindehautentzündungen, zur Entzündung des Lidrandes oder müden und trockenen Augen führen können. Ordinationen oder Gruppenpraxen bräuchten dafür einen kleinen Eingriffsraum – eine Investition, die viele niedergelassene Augenärzt:innen tätigen würden, sobald diese Leistung mit der Krankenversicherung abgerechnet werden kann, ist Seher überzeugt. 

„Durch die Modernisierung des Leistungskatalogs könnte man auch Wahlärzt:innen motivieren, in das Kassensystem zu wechseln“, so Syeda in Richtung Politik und Sozialversicherung. Das bloße Aufstocken der Stellen, wie kürzlich vonseiten der Politik in Aussicht gestellt, greife zu kurz. Denn auch bei den Arbeitsbedingungen würden Reformen anstehen: „Wir haben derzeit viele Anfragen von Fachärzt:innen, die gerne eine Gruppenpraxis gründen oder Ärzt:innen anstellen wollen. Leider werden die Kolleg:innen aber von den Krankenkassen hingehalten“. Die Folgen sind bekannt: Diskussionen über den Ärztemangel und zu lange Wartezeiten, die sich ständig wiederholen, ohne zu echten Lösungen zu führen. Syeda: „Es ist höchste Zeit, dass wir gemeinsam diesen Teufelskreis durchbrechen.“