Primärversorgungseinheiten

Zukunftshoffnung in der Allgemeinmedizin oder viel Lärm um nichts?

PVE, also Primärversorgungseinheit: Ein Begriff, der die handelnden Akteure in letzter Zeit in der gesundheitspolitischen Debatte immer wieder umgetrieben hat. Gerne werden PVE als Lösung für den mittelfristig dramatisch prognostizierten (Haus-)Ärztemangel ins Spiel gebracht. Ob dem wirklich so ist? – Ein Überblick.

Eva Kaiserseder
Teamwork Ärztinnen und Ärzte
Weniger Spitäler sollen laut deutscher Bertelsmann-Stiftung den Ärztemangel ausgleichen und für bessere Behandlungsqualität sorgen.
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Anfang April wurde in Sachen Primärversorgungszentren ein grundlegender Rahmenvertrag zwischen Hauptverband und Ärztekammer vereinbart, in Kürze wird der detaillierte Vertrag abgeschlossen. Vorab aber eine Rückschau ins Jahr 2017: Unter Pamela Rendi-Wagner, damalige SPÖ Gesundheitsministerin, wurde das schon länger geplante PVE-Gesetz auf Schiene gebracht – ein Gesetz, das schon in seiner Entstehung nicht unumstritten war. Schließlich war es für die ärztliche Standesvertretung unter anderem essenziell, dass PVE ihre Verträge nicht mit den Sozialversicherungsträgern, sondern analog den Gesamtverträgen die PVE Verträge direkt mit der zuständigen Ärztekammer verhandeln können. Ein Punkt, der so nicht selbstverständlich gegeben war.

Ein weiterer wesentlicher Punkt beim PVE-Gesetz war der Vorrang freiberuflicher Ärztinnen und Ärzte gegenüber Ambulatorien bei der Vergabe von PVE-Verträgen. Ambulatorien können auch von Nicht-Medizinern betrieben werden. Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres verwies deshalb erst kürzlich auf die Wichtigkeit, bei den PVE privaten Investoren nicht Tür und Tor zu öffnen; Ärztezentren sollen auch künftig unbedingt in ärztlicher Hand bleiben.

Was sind PVE eigentlich?

Als Klammer und übergreifender Denkansatz zur Idee der PVE könnte man sagen: Sie ergänzen den Beruf des Hausarztes, sind aber nicht dazu da, ihn zu ersetzen. Das betont auch Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer: „Es geht hier um eine Spielart in Sachen Primärversorgung und Allgemeinmedizin. Die überwiegende Versorgung wird weiter bei den Hausärzten liegen, weshalb dieser Vertrag (mit dem Hauptverband, Anm. d. Red.) die Aufwertung der Hausärzte nicht ersetzen kann. Diese hat nach wie vor absolute Priorität.”

Johannes Steinhart Kurie Niedergelassene Ärzte
Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer, betont, dass PVE Hausärzte ergänzen, nicht ersetzen sollen. © Bernhard Noll

 

Und wer kann eine PVE überhaupt gründen?

Geplant sind alleine in Wien bis 2025 36 PVE, vorzugsweise in Zentren, allerdings gilt den aktuellen Erfahrungswerten nach: „PVE funktionieren nicht dort, wo die Politik sie gerne haben möchte, sondern dort, wo sich Ärztinnen und Ärzte zu adäquaten Bedingungen zusammenfinden und das auch machen wollen“, betont Thomas Holzgruber, Kammeramtsdirektor der Wiener Ärztekammer, bei einer Infoveranstaltung zum Thema. „Gerade in Wien ist es nicht so einfach, etwa eine passende Immobilie zu finden: 300 bis 350 Quadratmeter zum Beispiel im 6. Bezirk, barrierefrei und leistbar. Das ist eine Challenge!“

Holzgruber war einer der Chefverhandler beim nach einjähriger Verhandlungsdauer fixierten Abschluss. „Man darf vorab auch festhalten: Das Gesetz sieht vor, dass eine PVE nur dort gegründet werden kann, wo es der RSG (Regionaler Strukturplan Gesundheit – beschlossen von GKK und Land, Anm. d. Red.) vorsieht. In Wien konnte hier von der Ärzteschaft erreicht werden, dass jede Ärztin und jeder Arzt in ganz Wien eine PVE gründen kann, wenn Interesse an dieser Form besteht.“

Als Wiener Pilotprojekte gelten das PHC (Primary Health Care) Mariahilf und die PVE nahe dem SMZ Ost (PHC Donauspital). Das Mariahilfer Zentrum als erste PVE, die bereits 2015 gegründet wurde und aus einer seit 2010 bestehenden Gruppenpraxis entstand, ist ein langsam gewachsenes, gut strukturiertes und in sich gefestigtes „Werkl“, während die PVE beim SMZ Ost, gegründet 2017, etwas weniger Zeit hatte, die neue Struktur zu etablieren; so waren es etwa die Ärztinnen nicht gewohnt, in dieser Form zusammenzuarbeiten, was auch zu Problemen geführt hat. Und weil viele Bedürfnisse unter einen Hut bzw. unter ein Dach zu bringen selbstredend keine leichte Aufgabe ist, besteht nun als weitere Option die Gründung von Primärversorgungsnetzwerken (PVN). Dazu aber weiter unten.

Thomas Holzgruber, Kammeramtsdirektor der Wiener Ärztekammer.
Thomas Holzgruber, Kammeramtsdirektor der Wiener Ärztekammer, sieht die neuen PVE als Möglichkeit, Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner „verstärkt freizuspielen und ihnen den Rücken freizuhalten, um so mehr Zeit für die eigentliche ärztliche Arbeit zu ermöglichen“. © Stefan Seelig

 

Was ist eine PVE konkret?

Für PVE, egal ob als Zentrum (PVZ) oder Netzwerk (PVN), gilt idealerweise: Mehr Teamwork, eine bessere Abdeckung der Ordinationszeiten und gleichzeitige Entlastung für die Medizinerinnen und Mediziner. So gibt es etwa Kernteams bestehend aus Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin und außerdem Gesundheits- und Krankenpflegern. „Wichtigster Unterschied zu Einzelordinationen ist, dass Primärversorgungseinheiten in der Versorgung mehr Verbindlichkeiten haben wie zum Beispiel die Hinzunahme weiterer Gesundheits- und Sozialberufe, erweiterte Öffnungszeiten oder Codierung“ so Steinhart. Dafür erhalten sie auch eine zusätzliche finanzielle Unterstützung, in Wien etwa auch vom Land und den Kassen. Die jeweilige Höhe dieser Unterstützung wird nun auf Landesebene verhandelt. Überhaupt ist die Versorgungsstruktur gerade in Sachen Allgemeinmedizin bekanntlich eine sehr heterogene  – eine PVE im dicht besiedelten urbanen Raum tickt daher völlig anders als etwa eine PVE im alpinen, ländlichen Bereich. Im bundesweiten Gesamtvertrag war die Abbildung dieser heterogenen Struktur eine der großen Herausforderungen.  

Mit der Einbindung weiterer Gesundheits- und Sozialberufe „geht es jedenfalls darum, Allgemeinmediziner verstärkt freizuspielen und ihnen den Rücken freizuhalten, um so mehr Zeit für die eigentliche ärztliche Arbeit zu ermöglichen“, so Holzgruber zur Idee dahinter. 

Was bei jeder PVE, egal ob PVZ oder PVN, zu beachten ist: Sie sind völlig eigenständige Rechtspersönlichkeiten, wobei bei einem Netzwerk der einzelne Arzt mit seiner Ordination als Rechtspersönlichkeit erhalten bleiben kann  –  grundsätzlich sind aber beide Formen gleichwertig und fast vollkommen ident geregelt. Außerdem gilt für eine PVE als Gruppenpraxis eine steuerliche Gleichbehandlung zur „regulären“ Gruppenpraxis nach dem Ärztegesetz, egal ob OG oder GmbH. Bei Netzwerken gibt es auch die Möglichkeit eines Vereins als Träger.

Wie ist eine PVE aufgebaut?

Als Organisationform für ein Primärversorgungszentrum kommt eine Ärzte-Gruppenpraxis – eventuell auch in Zukunft mit angestellten Ärzten – in Frage, deren Gesellschafter Ärztinnen und Ärzte sein müssen. Diese Gruppenpraxis kann als Offene Gesellschaft oder als GmbH gegründet werden. Als Alternative kann ein PVZ auch als selbstständiges Ambulatorium betrieben werden. Die Möglichkeit, sich als Gesellschafter an einem solchen selbstständigen Ambulatorium zu beteiligen, ist auf gemeinnützige Anbieter gesundheitlicher oder sozialer Dienste, gesetzliche Krankenversicherungsträger und Gebietskörperschaften (Gemeinden, Gemeindeverbände) beschränkt.

Bis dato sind alle PVE Gruppenpraxen, was auch so gewollt ist. Nur wenn sich keine Ärzte finden, dann soll ein Ambulatorium die Versorgung übernehmen.  Das ist auch im Interesse der Ärztekammer, so Holzgruber, der in diesem Zusammenhang auch wieder darauf verweist, dass die Entwicklung der Konzernisierung der Medizin durch Investoren mittels dieses zweistufigen Prozesses vom Gesetzgeber hintangehalten werden sollte.

Weil allerdings nicht jeder Arzt eine klassische Gruppenpraxis mit mehreren Kolleginnen und Kollegen unter einem Dach will, gibt es als weitere Option die bereits erwähnten Primärversorgungsnetzwerke (PVN): Hier wird an mehreren, unterschiedlichen Standorten strukturiert gemeinsam gearbeitet, nach außen tritt man allerdings trotzdem als Einheit auf.

Netzwerke können von freiberuflich tätigen Ärztinnen und Ärzten, Gruppenpraxen und anderen Angehörigen von Gesundheits- und Sozialberufen sowie deren Trägerorganisationen gebildet werden. Als Organisationsformen stehen die dislozierte Ärzte-Gruppenpraxen in der Rechtsform einer OG und GmbH sowie z.B. Vereins- und Genossenschaftslösungen zur Verfügung.

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„PVE funktionieren nicht dort, wo die Politik sie gerne haben möchte, sondern dort, wo sich Ärztinnen und Ärzte zu adäquaten Bedingungen zusammenfinden und das auch machen wollen!" Thomas Holzgruber