Interview
Interview

Morpheus auf der Spur

Die Neurologin und Schlafmedizinerin Birgit Högl lehrt und forscht in Innsbruck und gilt als eine der Größen ihres Fachs. Die Bayerin ist außerdem designierte Präsidentin der Weltschlafgesellschaft. Wir unterhalten uns über die vielen Facetten der Schlafmedizin, eine veränderte Rolle des Schlafes in der Gesellschaft – und schnarchende Männer. Högl selbst definiert sich übrigens als „wunderbare Schläferin“.

Eva Kaiserseder

medinlive: Sie sind ja Neurologin. Wie kommt man denn als solche zum damaligen Nischenthema Schlafmedizin?

Högl: Schon während meiner Facharztausbildung in der Neurologie wurde mein Interesse an der Neurophysiologie geweckt. Danach hat mich ein Auslandsaufenthalt nach Argentinien geführt und dort, in Buenos Aires, habe ich die Zusammenhänge zwischen Parkinson und Schlaf kennengelernt. Ich fand das hochinteressant und finde noch heute, dass Schlaf ein wirklich faszinierendes Feld ist. Gerade die Verbindung Schlaf und Gehirn erlaubt endlos viele Fragestellungen.

medinlive: Was umfasst die Schlafmedizin konkret?

Högl: Dazu gehört recht viel, etwa die Insomnie, Schlaf- Atemstörungen, Erkrankungen mit erhöhter Tagesschläfrigkeit oder unfreiwilliges Einschlafen tagsüber. Auch circadiane Störungen, also alles, was die innere Uhr aus dem Gleichgewicht bringt, zählen dazu oder Parasomnien, das bedeutet, abnormes Verhalten aus dem Schlaf heraus. Nicht zu vergessen schlafbezogene Bewegungsstörungen, zB. Bodyrocking- und -rolling oder Zähneknirschen.

medinlive: Die kulturgeschichtliche Bedeutung des Schlafes hat sich ja stark verändert. Es geht auch hierzulande langsam weg von „Bloss nicht zugeben, Schlaf zu brauchen und damit zu zeigen, dass man nicht in Dauerbetrieb ist!“ hin zu einem Paradigmenwechsel, der Schlaf als neues Statussymbol und kostbaren Luxus begreift  – wie nehmen Sie das wahr?

Högl: Zunächst einmal gibt es die bekannten kulturellen Unterschiede, denken Sie an Japan. Dort sieht man die Folgen des chronischen Schlafmangels, etwa die erhöhte Einschlafneigung tagsüber, oft schon in der Öffentlichkeit. Insgesamt gesehen wird die Zeit, die man sich zum Schlafen nimmt, einfach in der Tendenz kürzer, auch wenn es vor 100 Jahren noch keine Polysomnographien gegeben hat, um das genau nachzumessen. Woran das liegt? Das elektrische Licht spielt einfach eine extrem große Rolle. Denn wenn es am Abend finster wurde und man nur eine kleine Funzel hatte, um den Raum zu beleuchten, dann war die Melatoninausschüttung schon in vollem Gange und man ging schlicht früher ins Bett. Bei heller Beleuchtung ist die Melatoninausschüttung natürlich unterdrückt und außerdem war es in unseren Breiten lange Zeit cool zu sagen: „Ich brauche keinen Schlaf“.

Also zu sagen, man geht heim, weil man schlafen möchte und müde ist – das war ja lange Zeit irgendwie ein No Go (lacht). Ich hatte auch immer wieder einmal Patienten, vor allem Frauen, gescheite Frauen, die zu mir gekommen sind und sich gefragt haben, was um alles in der Welt mit ihnen nicht stimmt. Sie seien nämlich nicht fit, wenn sie nicht acht Stunden schlafen würden und das ginge auf keinen Fall, soviel wollen sie nicht schlafen, weil Zeitverschwendung! Die wollten sich ihren individuellen Schlafbedarf einfach nicht eingestehen, weil es nicht zur vermeintlichen gesellschaftlichen Vorgabe passt. Aber das ändert sich derzeit gerade tatsächlich etwas, glücklicherweise.

medinlive: Ist Schlaf bzw. guter Schlaf also tatsächlich Luxus?

Högl: Es gibt eine Forscherin aus Chicago, die die These aufgestellt hat, dass Schlaf der Missing Link zwischen sozioökonomischem Status, Wohlstand und Langzeitgesundheit ist. Das heißt, Menschen mit schlechtem sozioökonomischen Status haben zB. öfters Schichtarbeit, leben eher in Plattenbauten, haben einen weiten Weg zur Arbeit, weniger Zeit zur Erholung, leben eventuell in Gegenden mit viel Verkehr und haben hellhörigere Wohnungen. Wenn also Lärmreize dafür verantwortlich sind, dass man vom Tiefschlaf in den oberflächlichen Schlaf „rutscht“, dann beeinträchtigt das natürlich auch die Schlafqualität. Und in heißer Umgebung leidet die Schlafqualität zusätzlich, denn mensch schläft nur gut, wenn Körperwärme an die Umgebung abgegeben werden kann. Im Schlafraum soll es idealerweise kühler sein als Hände und Füße warm sind, sonst kann die Körperkerntemperatur nicht abgesenkt werden.

In einer völlig überhitzten Wohnung, wo die Luft steht, ist das also schwer möglich. Lange Zeit war das bei uns kein Thema, aber die sehr heißen Sommer nehmen zu. Ich kenne das aus Argentinien, wo ich gelebt habe, da gab es die Privilegierteren, die eine Klimaanlage hatten und die „anderen“, die sich zum Schlafen auf den kühlen Betonboden gelegt haben. Wenn man bei uns einen guten Status hat, ein Häuschen im Grünen, wo wenig Verkehr ist, auch flugtechnisch – in Indien und Georgien wird zB. um vier Uhr früh gestartet und gelandet! – und gute Abdunkelung, dann hat man günstige Bedingungen. Wenn diese Möglichkeit, gut zu schlafen, besteht, dann ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, gesund alt zu werden.

medinlive: Als Schlafforscherin beschäftigen Sie sich unter anderem mit der Beziehung zwischen gesundem Gehirn und gesundem Schlaf. Wie steht das in Verbindung und wie bedingen sie einander?

Högl: Dazu gibt es ja viele Studien und die besagen unter anderem, dass Schlafmangel Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen, auf die Aufmerksamkeit, auf die Entscheidungsfähigkeit oder die Sprachflüssigkeit hat.

Im Schlaflabor ist ja das, was wir vorwiegend machen, sozusagen ein Fenster ins Gehirn zu öffnen: Unter anderem beschäftigen wir uns dabei mit frühen Hinweisen auf neurodegenerative Erkrankungen. Zum Beispiel der REM-Schlaf: Normalerweise ist man in dieser Schlafphase ja mehr oder weniger gelähmt, was eine recht schlaue Einrichtung unseres Gehirns ist, um nicht womöglich das zu machen, was wir träumen. Diese aktive Muskelhemmung ist also durchaus sinnvoll.

Im Schlaflabor können wir dann diese aktive Muskelhemmung überprüfen, und zwar unter anderem via Oberflächenmuskelableitungen vom Kinn und den Beinen und Armen, was besonders bei der RBD (REM-sleep Behaviour Disorder) empfohlen wird. Beim Gesunden zeigt sich hier in der Regel keine Atonie außer ein paar kleinen Twitches (Zuckungen, Anm. d. Red.), bei der RBD besteht aber sehr viel Muskelaktivität. Im Video sieht man dann bei der RBD Bewegungen, zum Beispiel ausfahrende Handbewegungen. Das ist nicht nur eine Erkrankung, die unangenehm ist, weil man seinen Partner oder seine Partnerin verletzen kann oder aus dem Bett stürzt, sondern sie hat eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Prognose neurodegenerativer Erkrankungen.

RBD sind nämlich auf lange Sicht bei einem relativ großen Teil der Patienten ein Indiz dafür, dass sich mittel- bis langfristig Krankheiten wie Parkinson oder eine Lewy-Körper-Demenz entwickeln können, also alphasynucleinbedingte Erkrankungen. Diese Prognose ist natürlich unangenehm und erschreckend, allerdings gibt es einen großen Vorteil: Wenn man sie bald genug erkennt, dann kann man hoffentlich in sehr naher Zukunft den Ausbruch verzögern oder den Verlauf verlangsamen, denn wenn schon eine manifeste Parkinsonkrankheit vorhanden ist und die Mehrzahl der dopaminergen Zellen bereits zugrunde gegangen ist, ist es zu spät. Je früher man die Krankheit also erwischt, desto besser.

medinlive: Wann wurde dieser Zusammenhang entdeckt?

Högl: Die RBD ist von Carlos Schenck gemeinsam mit Mark Mahowald entdeckt worden, sie wurde das erste Mal 1987 beim Menschen beschrieben. Vorher wurde etwas Ähnliches beschrieben bei Katzen mit Läsionen im Hirnstamm bzw. dem Mittelhirn. Ungefähr 10 Jahre nach der Erstbeschreibung hat sich dann herausgestellt, dass sich bei Menschen, die zuerst „nur“ RBD hatten (damals wurde RBD noch als idiopathische Verhaltensstörung definiert) zu etwa einem guten Drittel ein Parkinsonsyndrom entwickelt hat

2005 gab es dann eine Studie in Spanien, da haben schon 50 Prozent später Parkinson entwickelt. Und schließlich gab es 2009 in Montreal eine große Kohorte, da hat man vorher 12 Jahre gewartet und hier haben dann 80 Prozent eine neurodegenerative Erkrankung entwickelt. Mittlerweile sind also die Konversionsraten sehr hoch. Betroffene möchten hier natürlich auch Bescheid wissen, ob sie ein Risiko haben, in Bälde oder überhaupt zu konvertieren.

Damit diese Prognose verfeinert werden kann, gibt es übrigens andere Biomarker wie etwa Riechfunktionsstörungen – wenn diese da ist, ist das Risiko, in einigen Jahren an Parkinson zu erkranken, größer. Wir plädieren jedenfalls dafür, diese Erkrankung nicht mehr „idiopathische REM Verhaltensstörung“ zu nennen, denn das klingt verharmlosend. Nachdem es eben gekoppelt ist an andere  auffällige Biomarker, schlagen wir vor, von so genannter „isolierter REM Schlaf Verhaltensstörung“ zu sprechen. Das deswegen, weil man eben schon weiß, das 80 Prozent auf lange Sicht eine alphasynucleinbedingte Erkrankung entwickeln und selbst bei Patienten, die eindeutig und allein RBD haben, bei genauer Untersuchung doch auch schon Zeichen von Neurodegeneration vorhanden sein können.

Viele unserer Forschungsarbeiten zur RBD haben wir übrigens im Rahmen der SINBAR Arbeitsgruppe (Akronym für Sleep INnsbruck BARcelona, Anm. d. Red ) gemacht. In unserer Arbeitsgruppe haben wir uns ganz allgemein viel damit beschäftigt, wie diese abnorme Muskelaktivität im Traumschlaf nun am ehesten quantifiziert werden kann, wir haben dazu auch einiges an Papers und Arbeiten veröffentlicht. 

Mittlerweile denken wir, dass nicht nur voll ausgeprägte RBD mit intensiven Träumen, Aufschreien, Ausagieren und so weiter Hinweise auf kommende neurodegenerative Erkrankungen gibt, sondern das es wahrscheinlich eine prodromale Vorstufe gibt. Da gibt es zwar noch kein Ausagieren, aber die Muskelaktivität ist etwas gesteigert und noch einige andere Kriterien werden erfüllt. Die Regulation des Muskeltonus sieht man ja im Schlaflabor. Das heißt, wenn jemand wegen Insomnie oder Schlafapnoe kommt und man sieht zu viel Muskelaktivität im REM Schlaf, dann fragen wir nach: Schlägt der Betreffende im Schlaf aus oder flucht und schimpft? Wenn das nicht der Fall ist, wird die Muskelaktivität quantifiziert und man schaut sich das im Video an. Mittlerweile ist gezeigt worden, dass diejenigen mit etwas mehr Muskelaktivität zum Teil progressiv sind und später eine richtige RBD ausbilden.

medinlive: Vermutlich ist das, was der Laie unter Schlafmedizin versteht, oft viel zu kurz gegriffen, sehen Sie das ähnlich? Die Quellfächer sind ja sehr vielfältig.

Högl: Das stimmt. Zum Glück sind aber auch die schlafmedizinische „Klassiker“ immer noch sehr ergiebig, etwa das Thema Insomnie: Da gibt es viele interessante Untersuchungen und Forschungsergebnisse, die immer mehr darauf hindeuten, dass es genetische Einflüsse und Prädispositionen bei diesem Thema gibt. Interessanterweise sind diese genetischen Einflüsse nicht so weit weg von denjenigen, die bei Depression eine Rolle spielen. Was man auch weiß und lange Zeit nur vermutet hat, ist, das freiwilliger Schlafentzug bzw. Insomnie mit objektiver Schlafstörung auf lange Sicht mit dem erhöhten Aufkommen von Demenz verbunden ist.

medinlive: Wie sind denn eigentlich Hormone und Schlaf verknüpft?

Högl: Das hängt ganz ausgeprägt zusammen, allein schon bei einer Änderung des Hormonhaushaltes im weiblichen Zyklus. Die Ausschüttung mancher Hormone ist auch an bestimmte Schlafstadien gekoppelt. Es ist allerdings komplex und bei Frauen in der Menopause mit Schlafstörungen reicht es nicht, einfach zu denken: „Das werden die Hormone sein“. Da ist eine gründliche Anamnese und wenn nötig eine weiterführende Abklärung wichtig, denn auch bei Frauen in der Menopause gibt es natürlich das ganze Spektrum an Schlafstörungen. So wurde zB. in vielen Studien, auch aus Österreich, gezeigt, dass sich hinter Schlafstörungen oft eine noch unerkannte Schlafapnoe verbergen kann. Ganz häufig steckt auch RLS (Restless legs syndrom, Anm. d. Red.) dahinter, beides Erkrankungen, für die es jeweils spezifische Behandlungen gibt. Und natürlich gehen auch Depressionen mit verändertem Schlafverhalten einher. Man muss sich hier einfach das gesamte Spektrum anschauen. Schlafmedizin ist jedenfalls etwas höchst Interdisziplinäres.

medinlive: Schlafstörungen nicht als Symptom, sondern als eigenständige Erkrankung: Lässt sich das so pauschalisieren?

Högl: Durchaus. Wenn man zum Beispiel sagt, man befasst sich mit der Insomnie: Da gab es früher eine Menge an Subtypen. Es gab die die primäre, die psychophysiologische, die Insomnie bei schlechter Schlafhygiene, die substanzinduzierte und so weiter. Das ist dann wieder zusammengefasst worden in eine chronische und nichtchronische Schlafstörung, die mit anderen körperlichen und psychiatrischen Erkrankungen assoziiert wurde. Man sollte jedenfalls bei jeder Insomnie schauen, woher sie kommt, denn gerade bei Frauen sind gerade erwähnte Atemaussetzer, also Schlafapnoe, und Restless legs oft der Grund dafür. Und wenn das so ist, dann ist die Schlafstörung ein Symptom für diese anderen Erkrankungen, wobei ich logischerweise die Ursache behandeln muss und nicht das Symptom. 

medinlive: Wo kann man denn aktuell einen state oft the art in der Schlafmedizin verorten?

Högl: Ich denke, wenn man so will, ist state of the art zu wissen, dass es einfach so viel mehr gibt als Insomnie und Schlafapnoe. Es gibt die Tagesschläfrigkeit, die Innere Uhr, Parasomnien oder schlafbezogene Bewegungsstörungen. Jede dieser Kategorien hat seinen eigenen state of the art. Vor Kurzem wurde übrigens eine Broschüre vom Gesundheitsministerium vorgestellt, in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin ÖGSM, „Gesund schlafen“ heißt sie. Dort wird für Laien verständlich erklärt, was hinter Schlafproblemen stecken kann. Oft denken die Menschen ja, ich kann nicht schlafen, ich muss ins Schlaflabor. Es muss aber bei Weitem nicht jeder mit diesem Problem ins Schlaflabor!   

Und egal vom welchem Quellfach man kommt: Eine umfassende Schlafanamnese ist in jedem Fall wichtig. Da wird man nach den Zeiten befragt, zu denen man einschläft, ob man durchschläft, ob es einen Tagschlaf gibt, ob man systematisch amnestisch ist..derlei Dinge werden hier abgeklopft. Polysomnografien, also die Untersuchung im Schlaflabor mit verschiedenen Parametern wie Pulsfrequenz, Sauerstoffsättigung im Blut oder Schnarchgeräuschen, sind nicht immer angebracht, manchmal sind andere Untersuchungen zielführender.

medinlive: Welche Menschen kommen denn zu ihnen ins Schlaflabor? Merken Sie Unterschiede zu den Anfängen des Innsbrucker Schaflabors vor 20 Jahren?

Högl: Früher haben eher die Ehefrauen ihre Männer geschickt, weil sie laut geschnarcht haben, das war der Klassiker. Wir haben da einige Fälle erlebt, wo die Betroffenen dann ein Aha-Erlebnis vor dem Bildschirm hatten, wenn sie die Videoaufzeichnungen von ihren nächtlichen Geräuschen vorgespielt bekommen haben (lacht).

medinlive: Das leidige Thema Schnarchen kann zu einem schwierigen zwischenmenschlichen Problem in der Partnerschaft werden. Kann man gegen das Schnarchen konkret etwas machen?

Högl: Kann man, ja. Es gibt eine Stufenabklärung, Screeninguntersuchungen und wenn nötig kommt die Polysomnografie zum Einsatz. Da lässt sich dann feststellen, ob es sich dabei zum Beispiel um obstruktive Schlafapnoe mit Atemaussetzern handelt. Hier ist dann die Positive Airway Pressure Goldstandard mit einer Maske, mittels derer ein Überdruck erzeugt wird, der das Einatmen erleichtert. Bei milderen Formen hilft manchmal auch eine Gewichtsabnahme oder die Vermeidung der Rückenlage. Weiters können HNO-Eingriffe vorgenommen werden, etwa am Weichgaumen, oder man kann mit Elektrostimulation arbeiten. Auch ein Hypoglossusschrittmacher kann helfen, wenn die Maske bei Schlafapnoepatienten nicht wirkt. Beißschienen, die den Unterkiefer nach vorne bringen und dadurch den oberen Atemwegen Platz machen – das kann man etwa beim Zahnarzt oder Kieferorthopäden anpassen lassen und hilft oft bei nicht allzu schwerer Ausprägung oder nicht zu großem Übergewicht. Bei mäßigen bis schweren Formen sollte man aber auf jeden Fall etwas dagegen machen, weil gerade schwere Schlafapnoe mit vielen cardio-und zerebrovaskulären und anderen Folgeerkrankungen einhergeht.  

medinlive: Und wer kommt heute aus welchen Gründen ins Schlaflabor?

Högl: Heute kommen die Menschen eher von selbst, sie müssen nicht mehr geschickt werden. Viele informieren sich vorab im Netz, weil sie wissen, dass sie nachts im Schlaf seltsame Dinge tun. Sie kommen, um dies dann weiter abklären zu lassen. Was heute wesentlich öfter diagnostiziert wird als früher, ist das Restless Legs Syndrom. Früher wurde das deutlich zu selten diagnostiziert, dazwischen kam es dann in Verruf, von wegen „Ist das überhaupt eine richtige Krankheit?“, auch deswegen, weil nach außen hin nichts sichtbar ist wie Ulzera oder Hautveränderungen. Heute weiß man: Frauen sind davon doppelt so häufig wie Männer betroffen und mittlerweile ist das natürlich auch als Krankheit anerkannt. Nicht jeder, der das sporadisch hat, braucht zwar eine Behandlung, aber es gibt Menschen, die wirklich schwerst betroffen sind. Und wenn man das nicht richtig behandelt, kann man sogar eine Verschlechterung des RLS erreichen. Dann wird es unerträglich. Verursacht wird diese sogenannte Augmentation übrigens durch dopaminerge Medikamente, die irgendwann weniger gut wirken, dann wird die Dosis gesteigert und in Verbindung damit das RLS kurzfristig besser. Um dann wieder schlechter zu werden – ein Teufelskreis.

medinlive: Ist RLS eigentlich mit Polyneuropathien verbunden?

Högl: Nein, das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Aber es ist nicht so selten, dass beides zusammen vorliegt, also comorbid ist. Polyneuropathien verursachen Taubheit, Reflexverlust, ein so genanntes „Sockengefühl“ und das Vibrationsempfinden ist gestört. Sie werden aber durch Bewegung nicht besser. RLS verursacht dagegen einen massiv unangenehmen Bewegungsdrang und ist schwer zu lokalisieren, außerdem ist RLS abends in der Einschlafphase schlimmer. 

medinlive: Warten die Patienten also kürzer zu, bevor sie ins Schlaflabor kommen, als früher?

Högl: Ja, ich habe schon diesen Eindruck. Die Wahrnehmung oder „Awareness“ wächst, dass man bei Schlafstörungen sehr wohl Abhilfe schaffen kann. Früher ist man mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung sehr oft nicht vorstellig geworden, nach dem Motto „Beim Schlafen ausschlagen, das kann schon einmal vorkommen“. Das Wissen um die diversen Behandlungsmethoden wächst.

medinlive: Welche Problematiken begegnen Ihnen eigentlich am öftesten?

Högl: Grundsätzlich kann man da wohl sagen, das ist bei jedem Schlaflabor anders. Aber bei uns in Innsbruck sind sehr viele Patienten mit RLS, auch abnormes Schlafverhalten kommt oft vor, also erwähntes um sich schlagen und so weiter. Die Klassiker, die nie fehlen, sind Insomnien und Schlafapnoe. Seltener sind Störungen der Inneren Uhr, also circadiane Auffälligkeiten, aber auch diese klären wir ab.

medinlive: An was liegt es, wenn diese Uhr gestört ist?

Högl: Die innere Uhr braucht Licht und Dunkelheit, um synchronisiert zu werden. Es gibt einen biologischen Rhythmus, das wurde bei Pflanzen gezeigt, nach dem die Blütenblätter trotzdem eine Zeit lang noch auf und zu gemacht haben. Bei Menschen ist das ähnlich. Wenn man das Licht aussperrt und die Umgebung zeitgeberfrei gestaltet, dann behalten sie noch eine Zeit lang den Tag-Nacht-Rhythmus mit kleineren Verschiebungen bei. Nicht mehr ganz exakt, sondern meistens ein wenig länger als 24 Stunden. In der Praxis geht man dann jeden Tag ein bisschen später ins Bett, steht ein bisschen später auf als gewohnt und irgendwann entkoppelt sich das völlig. Normalerweise soll der Schlaf- und Wachrhythmus und z.b. der Temperaturrhythmus, die Melatoninausschüttung und so weiter halbwegs synchronisiert sein. Wahrscheinlich ist diese innere Uhr und ihre sogenannte interne Desynchronisation mit den erwähnten Faktoren noch eine unterschätzte Ursache für chronische Krankheiten, etwa bei Schichtarbeitern. Und möglicherweise ist das auch ein Mitgrund, warum Menschen im Kloster sehr alt werden, sie haben ja jahrzehntelang ganz strenge Tagesabläufe. Übrigens sind auch dafür genetische Einflüsse mitverantwortlich, ob wir Frühaufsteher oder Nachtmenschen sind.

medinlive: Wobei wir schon beim Stichwort wären: Wie sehr ist unser Schlafverhalten genetisch vorbestimmt?  

Högl: Es gibt eine Reihe von Genen, die sind zum Beispiel für die circadianen Rhythmen oder für die Fähigkeit, nach verlängerter Wachheit den Erholungsschlaf nachzuholen, verantwortlich. Diese klassische erste Gruppe heißt CLOCK Gene (ein Akronym für Circadian locomotor output cycles kaput, Anm. d. Red.), doch mittlerweile entdeckt man immer mehr Gene und deren Varianten, die in der Bevölkerung häufig vorkommen und den Schlaf beeinflussen. Jedes für sich hat hier einen zusätzlichen Einfluss, einerseits bei RLS, andererseits bei Insomnien, und es erklärt einen Teil der Risikodisposition, warum etwa der eine mit Schlafstörungen und der andere mit Atemaussetzern reagiert.

medinlive: Ich persönlich bin eine gesegnete Schläferin und dürfte das also von meinen Eltern geerbt haben, ich schlafe an die neun, zehn Stunden pro Nacht am Stück und gehe sehr gerne sehr früh ins Bett. Was sagt die Schlafforscherin in Ihnen dazu? Zu viel oder gerade richtig?

Högl: (lacht) Man sollte sieben bis neun Stunden schlafen und da verdrehen viele schon die Augen: „Was das Zeit kostet!“ Aber die Zeit muss man sich eben nehmen und gerade Frauen brauchen tendenziell mehr Schlaf. 

medinlive: Gesund schlafen, gesund altern – wie sehr hängt das ganz konkret zusammen?

Högl: Es gibt Langzeitforschungsergebnisse, wo herausgekommen ist, dass das Risiko für eine neurodegenerative Erkrankung oder Demenz steigt, wenn man sich in jungen Jahren nicht genug Zeit zum Schlafen nimmt oder eine schlechte Schlafqualität hat. Es sind also nicht nur Ernährung und körperliche Aktivität wesentlich, um gesund zu altern, sondern Schlaf ist die dritte wesentliche Säule, auf die es ankommt.

medinlive: Ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch!

 

Links:

Weltschlafgesellschaft

Österreichische Gesellschaft für Schlafmedizin

Deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin

 

 

 

„Wenn man so will, ist state of the art zu wissen, dass es einfach so viel mehr gibt als Insomnie und Schlafapnoe. Es gibt die Tagesschläfrigkeit, die Innere Uhr, Parasomnien oder schlafbezogene Bewegungsstörungen. Jede dieser Kategorien hat seinen eigenen state of the art."
Birgit Högl, Neurologin und Schlafmedizinerin
Die Interdisziplinarität des Faches und der enge Connex zwischen Gehirn und Schlaf faszinieren Birgit Högl seit vielen Jahren.
MUI/F. Lechner
„Es gibt eine Reihe von Genen, die sind zum Beispiel für die circadianen Rhythmen oder für die Fähigkeit, nach verlängerter Wachheit den Erholungsschlaf nachzuholen, verantwortlich."
 
© medinlive | 16.04.2024 | Link: https://www.medinlive.at/index.php/wissenschaft/morpheus-auf-der-spur