Interview Veganismus
Interview Veganismus

„Für die Allgemeinheit im Kleinkindalter absolut nicht zu empfehlen"

Der Fall des australischen Kleinkindes, das vegan mangelernährt wurde und entsprechende gesundheitliche Schäden davontrug, hat  – wieder einmal – die Frage aufgeworfen, wie gesund eine strikt vegane Ernährung im Speziellen für Säuglinge und Kleinkinder ist. medinlive hat beim Ernährungsmediziner Kurt Widhalm nachgefragt.

Eva Kaiserseder

medinlive: Wie haben Sie den Fall des vegan ernährten australischen Kleinkindes wahrgenommen, das scheinbar aufgrund seiner veganen Ernährung gesundheitliche Schäden erlitten hat ?

Widhalm: Ich habe das natürlich auch mitbekommen und glaube, dass hier mehr dahinterstecken könnte, weil ich gelesen habe, dass das Kind zusätzlich zu seinem starken Untergewicht auch nicht gehen konnte und Knochendeformitäten hatte. Ich kenne natürlich den medizinischen Bericht dazu nicht, würde aber sagen, grundsätzlich muss man sich fragen, ob da nicht mehr als „nur“ vegane Ernährung als Ursache dahintersteckt. Alleine das niedrige Gewicht ist höchst auffällig, das kann ich mir durch eine alleinige pflanzliche Ernährung eigentlich nicht erklären.

medinlive: Wenn ich Sie nun fragen würde, ob vegane Ernährung für Säuglinge und Kleinkinder geeignet ist oder nicht, was wäre die Antwort?

Widhalm: Eher nein. Warum das so ist, kann ich Ihnen sehr genau darlegen. Wenn man wirklich einen Säugling oder ein Kleinkind vegan ernähren will, muss man Supplemente geben, sonst kommen die Kinder in Nährstoffdefizite, v.a. bei Eiweiß, Eisen, Mikronährstoffen, B12, Omega 3 Fettsäuren oder Vitamin D. Wenn das gut ergänzt wird, kommt es auch nicht zu Defiziten. Allerdings kommt es auch zu Problemen, wenn die Mutter schon vor der Schwangerschaft längere Zeit vegan ohne Supplemente gelebt hat, dann können nämlich auch Feten geschädigt werden, dazu gibt es genügend Literatur. Es können neurologische Probleme auftauchen, schwere Schädigungen am Nervensystem und an der Muskulatur. Wenn die Mutter das Kind stillt und sich weiter vegan ernährt, mit diesem Defizit an essentiellen Nährstoffen, dann ist zu wenig an Nährstoffen schon in der Muttermilch enthalten. Und wenn dann mit veganer Beikost fortgesetzt wird, dann bleibt das Defizit bestehen. Wie gesagt, derlei Dinge kann man durch Supplemente abfangen, allerdings, und das ist die Crux dabei, muss man sich eben sehr genau mit dem Thema Ernährung auseinandersetzen und alles ganz genau berechnen. Daher würde ich sagen, für die Allgemeinheit ist eine vegane Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter absolut nicht zu empfehlen.

medinlive: Jetzt ist es ja bekanntlich so, dass Veganer oft nicht aus Jux und Tollerei vegan essen, sondern diese Ernährungsform durchaus ideologische und ethische Gründe hat und dementsprechend strikt gelebt wird. Was raten Sie einer Mutter, die partout nicht abrücken will von veganer Ernährung für ihr Kind, welche konkreten Maßnahmen kann sie ergreifen, wie oft soll sie etwa ein Blutbild machen?

Widhalm: Gute Frage. Ich kenne das Problem natürlich aus der Praxis sehr gut und sehr genau und habe etliche Patienten, die zB. in London studieren, wo vegane Ernährung üblich und modern ist. Bei diesen Erwachsenen kann ich sagen: Diese Patienten nehmen durchgehend Supplemente und kommen alle drei bis sechs Monate zum Check, wo die Vitamine und die Mikronährstoffe überprüft werden. Bei Kindern sollte das auch regelmäßig gemacht werden.

medinlive: Wie äußern sich Defizite bei Kindern?

Widhalm: Etwa durch Anämie, Muskelschwäche, Immunschwäche oder Entzündungszeichen. Erste Symptome durch Mikronährstoffmangel sind ja sehr unspezifisch, Müdigkeit ist ein großes Thema, weiters eben Muskelschwäche und neurologische Symptome, die dann immer ausgeprägter werden können. Sie sehen, ich würde diese Ernährungsform wirklich niemand raten, ohne sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Ganz wichtig beim Stichwort Blutbild und Check Up ist es, hier in die Tiefe zu gehen. Manchmal, wenn ich Patienten danach frage, erklären sie mir, sie hätten diese und jene Werte überprüfen lassen, aber wenn es dann um Parameter geht wie zB. Calcium, Zink oder die Eisenresorption, wurde das außer Acht gelassen. Das ist aber wichtig, bei solchen Untersuchungen umfassend und ganz genau zu schauen.

 

Zur Person: Kurt Widhalm ist aktuell u.a. Präsident des Österreichischen Akademischen Institutes für Ernährungsmedizin, er war außerdem Leiter der Abteilung für Ernährungsmedizin der Universität Wien (ab 2004 Med. Universität Wien) und ist Facharzt für Kinderheilkunde.

 

Stellungnahme der Veganen Gesellschaft Österreich

Kurt Widhalm
Der Ernährungsmediziner warnt vor einer veganen Ernährung für Kinder, ohne sich intensiv mit dieser Ernährungsform auseinanderzusetzen und zu supplementieren.
ÖAIE
 
© medinlive | 20.04.2024 | Link: https://www.medinlive.at/index.php/wissenschaft/fuer-die-allgemeinheit-im-kleinkindalter-absolut-nicht-zu-empfehlen