Pneumologie

Streit um Feinstaubgrenzwerte neu entfacht

Die von einer Gruppe von deutschen Lungenärzten formulierten Zweifel an den Grenzwerten für Feinstaub und Stickoxide sorgen weiter für Aufruhr. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Bundesumweltministerin Svenja Schulze vertreten wenig überraschend eher diametrale Ansichten.Österreichische Experten halten die Gefahren von Feinstaub für eindeutig bewiesen.

red

Mehr als hundert Mediziner hatten in einer Stellungnahme erhebliche Zweifel an der wissenschaftlichen Methodik bei der Festlegung der Grenzwerte geäußert und eine Neubewertung der Fachstudien gefordert. Zu den Ärzten zählt Dieter Köhler, der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Der Initiator der Gruppe der Lungenärzte forderte eine Erhöhung der Grenzwerte nach Vorbild der USA. Köhler sagte gegenüber einer deutschen Zeitung, es gebe ein „hohes Maß an Hysterie" bei den Grenzwerten. „Der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter ist zu niedrig - er müsste wie in den USA auf 100 Mikrogramm angehoben werden", forderte Köhler. Allerdings steht die Position des Lungenfacharzts im Gegensatz zu aktuellen Veröffentlichungen der früher von ihm geführten DGP und auch der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Unter den Verfassern des Aufrufes befinden sich auch ehemalige Daimler-Mitarbeiter, was von Lobby Control, einer deutschen Transparenzinitiative.kritisiert wird.

Österreichische Ärzte haben sich gegenüber dem „Standard“ zur Thematik geäußert, so meint etwa Sylvia Hartl, Lungenfachärztin im Otto-Wagner-Spital und Forschungsleiterin der Österreichische Lungengesundheitsstudie mit mehr als 11.500 Probanden: „Es ist unrichtig, dass man die Auswirkungen nicht kennt. Es gibt auch viele Studien zu kardiovaskulären Erkrankungen, die auf Feinstaub zurückzuführen sind. Der Mechanismus der Schädigung ist relativ klar." Hohe Belastungen schaden vor allem jenen, die bereits krank sind.

Köhler meint außerdem, dass Lungenärzte in Kliniken zwar Todesfälle durch COPD und Lungenkrebs sähen, durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, aber nie. Die WHO spricht von jährlich 80.000 zusätzlichen Todesfällen durch Feinstaub. Bernd Lamprecht, Generalsekretär der Österreichische Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) und Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Linzer Kepler Universitätsklinikum, entkräftet Köhlers Aussage: „Todesfälle haben als Diagnose nicht Feinstaub, sondern eine Erkrankung, die dadurch ausgelöst wird, etwa COPD oder ein Lungenkarzinom." COPD (chronic obstructive pulmonary disease) ist weltweit übrigens die häufigste tödliche Erkrankung durch Feinstaub.

„Versachlichung der Debatte“

Scheuer forderte vor dem Hintergrund der Veröffentlichung der Gruppe um Köhler eine „Versachlichung der Debatte" um Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide in Deutschland. „Wir brauchen eine ganzheitliche Sichtweise." Die Stellungnahme der Ärzte habe „nochmal Fakten" in die Diskussion eingebracht, die Veröffentlichung sei ein Signal. „Von daher müssen wir schon mal wieder die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen", forderte Scheuer. Es müsse auf europäischer Ebene darüber diskutiert werden, die Grenzwerte auszusetzen.

Bundesumweltministerin Schulze wies dagegen die Kritik der Ärzte zurück. Die Grenzwerte dienten dem Schutz aller Menschen, sagte sie dem „Handelsblatt". Die große Mehrheit der Städte schaffe es auch, die Grenzwerte einzuhalten. Die Feinstaubwerte würden so gut wie überall eingehalten. Nur dort, wo besonders viel Verkehr sei, gebe es Probleme mit Stickoxiden. „Wir haben also kein Grenzwertproblem, sondern ein Diesel- und Verkehrsproblem, das wir zum Beispiel mit Hardwarenachrüstungen lösen können - davon lenkt die Debatte ab." Sie sei erstaunt, „dass sich manche Ärzte in den Dienst eines solchen Ablenkungsmanövers stellen".

Lungenfunktionstest_ COPD
COPD ist eine der potentiell tödlichen Krankheiten, die mit Feinstaub assoziiert werden. Die Lunge reagiert hier mit überschießenden Entzündungsreaktionen.
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© medinlive | 18.04.2024 | Link: https://www.medinlive.at/index.php/gesundheitspolitik/streit-um-feinstaubgrenzwerte-neu-entfacht