Am 25. Februar 2020 waren in Innsbruck die ersten SARS-CoV-2-Fälle in Österreich bestätigt worden. Nach drei Jahren Pandemie sehen Experten eine endemische Phase erreicht oder demnächst erreicht und die Bundesregierung hat eine große Analyse ihrer Corona-Politik angekündigt. Es dürfe nicht erwartet werden, dass nun eindeutige Antworten in Richtung „Das war gut, das war schlecht“ herauskommen, betonte Klimek. Aufarbeitungen und Auswertungen zu Corona-Maßnahmen würden in der Wissenschaft schon seit drei Jahren gemacht. „Wenn es da eine klare Antwort gäbe, hätte sich das schon herumgesprochen“, sagte der Forscher vom Complexity Science Hub Vienna und der MedUni Wien.
„Es hat wenig Möglichkeiten gegeben aus dieser Pandemie herauszukommen, ohne dass irgendwo Schaden entsteht“, erläuterte der Forscher. Natürlich kann dieser Schaden „gewissermaßen reduziert werden“, sagte er und es können dabei Ziele - wie möglichst wenig Tote oder möglichst wenig Übersterblichkeit - definiert werden. Jede Maßnahme wie Masken, Tests, Abstand halten usw. sei für sich durchlässig wie ein löchriger Käse, sprach Klimek vom „Schweizer-Käse-Modell“. Aber viele Maßnahmen übereinander geschichtet könnten „sehr wohl einen deutlichen Effekt herstellen“. In Österreich sei jedoch in der zweiten Welle nur über das Contact Tracing geredet worden, danach nur über das Testen und dann wiederum nur über Masken, kritisierte er.
Gesundheitskompetenz der Bevölkerung wichtiger Faktor
Als sehr wichtigen Faktor erachtet Klimek die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und das Vertrauen auf zwischenmenschlicher Ebene. „Wenn ich das Vertrauen habe, dass sich mein Gegenüber vorsichtig verhält, verhalte ich mich auch vorsichtiger“, erläuterte der Komplexitätsforscher. In Schweden sei bei weniger strengen Maßnahmen eine ähnliche Mobilitätsreduktion wie in Österreich gemessen worden. „Vielleicht haben wir mehr Maßnahmen zur Kontaktreduktion gebraucht, weil wir auf der Ebene der Gesundheitskompetenz und beim zwischenmenschlichen Vertrauen Nachholbedarf haben“, vermutetet Klimek. Hinzu komme das laut Eurobarometer-Umfrage geringe Interesse an der Wissenschaft in Österreich. „Das sind alles kommunizierende Gefäße, die sich beeinflussen.“
Weiters wurde in Österreich die 33-prozentige Auslastung der im internationalen Vergleich recht hohen Anzahl von insgesamt rund 2.000 verfügbaren Erwachsenen-Intensivbetten als Auslöser für einen Lockdown definiert. Dadurch sei „spät zu bremsen begonnen“ worden. Das bedeute höhere Inzidenzen, bevor Maßnahmen einsetzen und damit auch mehr schwere Verläufe und Tote und teils „extrem lange Lockdowns“, um von dem hohen Niveau hinunter zu bremsen, resümierte Klimek.
Die gegenwärtige Situation stelle sich dank der Impfung als „Gamechanger“, breiterer Immunität in der Bevölkerung und weniger Intensivaufenthalten durch die Omikron-Variante anders dar. Corona habe keine besondere Rolle mehr für die Belastung des Gesundheitssystems und sei nun „ein zusätzlicher Stressfaktor“ neben anderen Viruserkrankungen. „Konkret müssen wir uns darauf einstellen, dass es zu epidemischen Wellen von Corona kommen wird, im Winter wahrscheinlicher als im Sommer“, warnte Klimek aber. Eine gemeinsame Überwachung mit anderen Atemwegsinfekten wie Influenza und RSV sei in Planung.
AGES arbeitet an Überwachung aller Atemwegsviren
Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) ist gerade dabei, „eine möglichst digitalisierte, automatisierte Erfassung von Atemwegserkrankungen, die zu Hospitalisierungen führen, in Österreich aufzubauen“, erläuterte Bernhard Benka, Leiter des Bereichs Öffentliche Gesundheit der AGES. Das passiere europaweit mit Unterstützung der EU-Seuchenbehörde ECDC, und gehe weg von eine Erreger-abhängigen Überwachung zu einer Syndrom-Überwachung. Dafür werde ein Netz mit Partnerkrankenhäusern, die repräsentativ auf Österreich verteilt sind, aufgezogen.
Der Punkt, der in Österreich am schwächsten ausgeprägt war vor der Pandemie, sei zu wissen, was in den Krankenhäusern passiert, kritisierte Benka, „dass wir da einen blinden Fleck gehabt haben“. Eine ähnliche Überwachung werde es aber auch im niedergelassenen Bereich geben, kündigte Benka an. Gleichzeitig brauche es weiterhin eine Virusüberwachung, um festzustellen, ob SARS-CoV-2 mutiert und dadurch schwerere Erkrankungen auslöst, sagte er im Gespräch. Auch die Abwasser-Analysen auf das Coronavirus hätten sich bei der „Surveillance“ etabliert.
Benka betonte auf Nachfrage zur Vorbereitung auf künftige Pandemien den „One Health“-Ansatz der AGES, der die Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen und Umwelt unter einem Dach betrachtet. Das sei ein großer Vorteil, was Zoonosen betrifft - also Infektionskrankheiten, die direkt oder indirekt zwischen Wirbeltieren und Mensch übertragen werden, was bei SARS-CoV-2 auch als Ursprung vermutet wird. Die Klimawandelanpassung und invasive Arten beschäftigen die AGES in Bezug auf Infektionskrankheiten ebenso, berichtete Benka. So sei beispielsweise die Asiatische Tigermücke, die das Dengue- und Chikungunya-Virus übertragen kann, schon in jedem Bundesland nachgewiesen worden.