Coronavirus

„Eine Erkrankung mit einer so angsterfüllten Krankheit ist belastend“

Schulen und Kindergärten haben auch im Lockdown geöffnet und mit Omikron ist eine völlig neue Virusmutation in Österreich angekommen. Nicht nur Eltern fragen sich: Wie gefährdet sind Kinder und Jugendliche in der Corona-Pandemie? Wie wichtig ist die Impfung? Florian Götzinger, Leiter der kinderinfektiologischen Ambulanz und Kinderarzt an der Klinik Ottakring, gab in einem Vortrag im Rahmen der Wiener Medizinischen Tage der Ärztekammer für Wien einen Überblick.

Lisa Lukitsch-Dittlbacher

„Eine Sache müssen wir uns vor Augen führen, wenn wir über Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen sprechen. Bisher hat sich gezeigt, und ich betone bisher, denn wir wissen nicht welche Varianten noch kommen, dass wir bei den fatalen und schweren Fällen im pädiatrischen Bereich nicht stark betroffen sind“, so Florian Götzinger einleitend, der an der Klinik Ottakring, die für den Raum Wien das Referenzspital für Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen ist, die Station für Infektiologie und Gastroenterologie leitet und seit Beginn der Pandemie Kinder mit Covid-19 betreut. Schwere Verläufe bei Kindern und Jugendlichen inklusive der Säuglinge und Neugeborenen sind mit unter 1% selten, „aber sie kommen in allen Altersgruppen vor.“

Wichtig sei deshalb zu wissen, auf welche Kinder man besonders Acht geben muss: Risikofaktoren sind schwere Stoffwechselerkrankungen, schwere angeborene Herzfehler, strukturelle Lungenschäden, Immunsuppression durch Chemotherapie, Organtransplantation, aber auch schwere Adipositas mit einem BMI über 37, Erbkrankheiten wie die Sichelzellenanämie, oder neuromuskuläre Erkrankungen. „Kinder, die schon aufgrund ihrer Grunderkrankung zu schwereren Infektionen und Krisen neigen, das sind die Kinder auf die wir aufpassen müssen“, fasst der Kinderarzt zusammen.

Mischinfektionen und vielfältige Symptome

Welchen Einfluss virale Co-Infektionen auf die Schwere einer Covid-19-Erkrankung haben, sei derzeit noch nicht genau einzuschätzen, da die Grippewelle 2020 ausgeblieben ist. „Wir warten derzeit auf die Influenza-Saison, mit RSV gibt es derzeit aber nicht sehr viele Mischinfektionen und wir haben bisher nicht gesehen, dass es dadurch zu schwereren Covid-19-Verläufen kommt“, so Götzinger, und das obwohl derzeit eine Epidemie des Respiratorischen Synzytial-Virus (kurz RSV) in Österreich grassiert „und die Kinderabteilungen mit RSV-Fällen voll sind.“ Gleichzeitig müsse man auch den Ärztinnen und Ärzten im niedergelassenen Bereich weitergeben, dass nur weil ein Kind Sars-Cov-2-positiv ist, es nicht heißt, dass es nicht auch eine andere Erkrankung sein kann mit der sich das Kind präsentiert und die behandelt werden muss: „Wir haben zum Beispiel an der Klinik Ottakring unlängst ein Kind mit schwerer Malaria Tropica aufgenommen, das auch Sars-Cov-2 positiv war.“

Die Symptome mit denen sich Kinder, die Sars-Cov-2-positiv sind, in der Klinik Ottakring präsentieren sind vielfältig, beschreibt der Leiter der Ambulanz für Infektions- und immunologische Erkrankungen: In der Regel sei Fieber das primäre Symptom sowie obere respiratorische Symptome wie Laryngitis, starker Schnupfen und Halsschmerzen. „Was aber interessant ist, dass gastrointestinale Symptome fast gleichhäufig mit Fieber auftreten wie ein unterer respiratorischer Infekt.“ Interessant deshalb, weil es darum gehe, wen man auf das Coronavirus screent, so Götzinger: „Im Moment testen wir jeden, der in den Spitalsbereich kommt, da haben wir es einfacher. Beim niedergelassenen Bereich ist es deutlich schwieriger und da ist es wichtig bei Kindern, die sich mit Gastroenteritis und hohem Fieber präsentieren auch an Covid-19 zu denken.“

MIS-C – vielgesichtige Kinderkrankheit

Bei der Behandlung stehe an erster Stelle, dass man die Eltern miteinbindet und sie beruhigt, unterstreicht Götzinger: „Covid-19 ist bei vielen eine angstbesetzte Krankheit und daher muss man auch einmal die Kirche im Dorf lassen: Kinder und Jugendliche erkranken in aller Regel nicht schwer an Covid-19, und es ist wichtig, dass man das den Eltern auch sagt.“ Auch Spätfolgen seien eher selten, trotzdem sind auch Patientinnen und Patienten im Kindesalter von 0-19 von Long Covid betroffen und mit MIS-C („Multisystem Inflammatory Syndrome in Children“) gibt es eine Folgeerkrankung, die speziell Kinder und Jugendliche treffen kann.

Bei MIS-C kommt es zwei bis acht Wochen nach einer Sars-Cov-2-Infektion zu einer überschießenden Immunreaktion, dem Zykotinsturm. „Die Kinder kommen mit einer Hyperinflammation post Covid und sehr hohen Entzündungsparametern“, beschreibt Götzinger. Eine Gruppe der Betroffenen, in etwa ein Drittel, präsentiert sich im Schock mit massiven Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen, „im Prinzip wie ein toxisches Schocksyndrom.“ Eine weitere Gruppe präsentiert sich ähnlich wie das Kawasaki-Syndrom, das Pädiater schon seit vielen Jahrzehnten kennen, mit oftmals multisystemischen Symptomen wie unspezifischen Exanthemen, geschwollenen Händen und Füßen und einer massiven Erhöhung des CRP-Wertes. Die dritte Gruppe entwickelt hohes Fieber über drei Tage und zeigt auch hohe Entzündungsparameter, Patientinnen und Patienten dieser Gruppe erholen sich aber oft von selbst, ohne zusätzliche Maßnahmen und werden selten intensivpflichtig.  „Weil MIS-C so vielgesichtig sein kann und es bisher kein Melderegister gibt, ist es wahnsinnig schwer zu sagen wie oft es im Kindes- und Jugendalter vorkommt“, so Götzinger, der auch auf internationale Studien verweist, die derzeit laufen und demnächst veröffentlicht werden sollen.

Physisches und Psychisches Kindeswohl in den Vordergrund stellen

Das bei Kindern etwas seltener als bei Erwachsenen auftretende Long Covid beschreibt alle Symptome, die im Rahmen von oder nach einer Corona-Infektion auftreten, die für mehr als 12 Wochen fortbestehen und die nicht durch eine alternative Diagnose erklärbar sind. Für Kinder mit Long Covid-Symptomen gibt es in der Klinik Ottakring eine Spezialambulanz, „wo wir in der Praxis sehen, dass es eine unheimliche Breite ist wie sich Betroffene mit Long Covid präsentieren, das geht von Brustenge, Thoraxschmerz bis zu Angstzuständen, Müdigkeit, oder dem anhaltenden Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns. Es sind wirklich kaum Grenzen gesetzt, was da möglicherweise auftreten kann“, berichtet Götzinger aus dem Klinikalltag, „wenn man sich dann anschauen möchte, wie oft kommt das denn vor, wie viele Kinder und Jugendliche sind betroffen von Long Covid, ist das natürlich sehr schwierig aufgrund von unterschiedlichen Studiendesigns, Fragebögen oder auch zum Teil fehlenden Kontrollgruppen. Wir stecken hier noch in den Kinderschuhen.“ Prinzipiell gebe es aber derzeit eine gute Leitlinie, in der auch eine psychologische Evaluierung im Vordergrund steht, unterstreicht der Kinderarzt: „Denn natürlich ist ein Lockdown oder auch eine Erkrankung einer so stigmatisierenden und angsterfüllten Krankheit belastend. Wenn im Rahmen dieses Familienclusters womöglich noch ein Elternteil oder Großelternteil verstorben ist oder sich auf einer Intensivstation befunden hat, dann muss man auch an die psychologische Evaluierung denken, wenn dieses Kind beispielsweise seither chronische Kopfschmerzen hat.“

Denn Kinder und ihr physisches und psychisches Wohl seien in der Pandemie bisher relativ wenig berücksichtigt worden. Die Schulen im Lockdown offen zu lassen sei daher zu begrüßen, so Götzinger, denn die bisherigen Maßnahmen hatten sehr wohl negativen Einfluss: „Wir wissen, dass die Suizidraten selten so hoch waren. Wir wissen, dass die Anorexie-Erstdiagnosen noch nie so hoch waren wie jetzt. Das macht alles etwas mit den Kindern.“

Klare Impfempfehlung

Klar sei auch bei einer Impfentscheidung für Kinder und Jugendliche, dass Covid-19 auch in dieser Altersgruppe zu schweren Verläufen und Langzeitfolgen führen kann, auch wenn weitere umfangreiche Studien nötig seien, um das Krankheitsbild und die Folgen im pädiatrischen Bereich besser beschreiben zu können.

Fest steht für Götzinger: „Das Virus selber kann ich wirklich niemandem empfehlen, und bei der Impfung weiß man bereits, dass das ein sehr sicherer Impfstoff ist.“ Und er unterstreicht: „Wir impfen auch gegen andere Erkrankungen breit, die noch viel weniger Auswirkungen auf Kinder haben als Covid-19. Berücksichtigt man den epidemiologischen und gesellschaftlichen Nutzen, die möglichen Folgen wie Long Covid oder MIS-C und dass wir immer wieder Virusmutationen sehen werden, speziell jetzt auch diese neue beunruhigende Variante die sich gerade in Südafrika ausbreitet, kann man es breit empfehlen, dass Kinder sich impfen, auch wenn sie keinen Risikofaktor haben.“

Die „Wiener Medizinischen Tage“ sind eine Veranstaltungsreihe der Ärztekammer für Wien, die 2021 von 26. bis 27. November stattgefunden hat. Schwerpunkt der diesjährigen „Wiener Medizinischen Tage“ waren die Themen „Notfälle und seltene Erkrankungen in Bezug auf Covid-19“.

Dr. Florian Götzinger, PGD PID, DTM, Programmdirektor für Kinderinfektiologie (WIN), Wiener Gesundheitsverbund, Klinik Ottakring hielt im Rahmen der „Wiener Medizinischen Tage“ einen Vortrag zum Thema „ Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen“.

WEITERLESEN:
Wiener Medizinische Tage Vortrag Dr. Florian Götzinger
Im Rahmen der „Wiener Medizinischen Tage“ schaffte Florian Götzinger in seinem Vortrag für Ärztinnen und Ärzte einen Überblick über die Symptome, Behandlungsmöglichkeiten und Auswirkungen von Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen.
Ärztekammer für Wien
„Kinder, die schon aufgrund ihrer Grunderkrankung zu schwereren Infektionen und Krisen neigen, das sind die Kinder auf die wir aufpassen müssen.“