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Deutscher Lebertag

Vielversprechende Medikation gegen Hepatitis D

Die chronische Infektion mit HDV ist die schwerste Form aller Virushepatitiden mit einem deutlich schnelleren Fortschreiten hin zu Leberzirrhose und Leberkrebs. Eine Lebertransplantation war bislang oft die einzige Überlebenschance für Hepatitis-D-Patient:innen. Mit Bulevirtide wurde ein neues Hepatitis-D-Medikament am Leberkongress vorgestellt, das die aggressive Virusvariante eliminieren soll.

Claudia Tschabuschnig

„Ein fast historischer Moment in der Hepatologie“, sagte Heiner Wedemeyer im Juni bei einer Pressekonferenz, in der er die Phase III der randomisierten Studie zu Bulevirtide vorstellte. Mit dem Entry-Inhibitor Bulevirtid steht erstmals eine spezifische Therapieoption zur Verfügung, die bei einem großen Teil der Patient:innen sowohl die Hepatitis-D-Virus(HDV)-Viruslast senken als auch die Leberwerte normalisieren kann.

Bislang wurde in der Behandlung von Hepatitis D vorwiegend auf Interferon zugegriffen, dem einzigen zugelassenen Medikament in den letzten 30 Jahren. Aber die Ergebnisse der Therapie waren unzureichend. Das änderte sich schlagartig als die Europäische Arzneimittelbehörde EMA im August ein Medikament bedingt zugelassen hat. Dabei handelt es sich um den Entry-Inhibitor Bulevirtid, begonnen wurde es in einer kleinen Phase II Studie. Zu dieser Zeit gab es noch keine andere Therapieoption, die Zulassung der Behörde für dieses neue Medikament war bemerkenswert, wie Wedemeyer erklärt. 

Ergebnisse bestätigt

Die nun präsentierte Phase III Studie umfasste 150 Patient:innen in Russland, Deutschland, Schweden sowie Italien und konnte die Ergebnisse der kleinen Phase II Studie bestätigen, so Wedemeyer. Es gebe ein deutliches biochemisches und virologisches Ansprechen bei der Mehrheit der Patient:innen. „Die Leberenzyme normalisieren sich und das Medikament ist sicher, es gab keine großen Nebeninfekte“, so Wedemeyer. Die Dosis wird über eine Injektion verabreicht.

Die repräsentative Studie (p = 0.0010, CI = 95 %) zeigte, dass BLV in der Dosis 2 mg sicher und wirksam über eine 48-wöchige Behandlung ist. Die Behandlung mit BLV war der Kontrollgruppe überlegen, was anhand der kombinierten biochemischen und virale Reaktion dargelegt weren konnte. Auch zeigte sich, dass eine erhöhte Dosis von 10 mg nicht vorteilhafter waren als die Gabe von 2 mg. Auch zeigte sich, dass der Nutzen der Behandlung in allen Untergruppen, einschließlich Patienten mit Zirrhose, gleich ist. Weiters trat in beiden Behandlungsgruppen eine stärkere Reaktion auf die Lebersteifigkeit im Vergleich zur verzögerten Behandlung auf. Im Beobachtungszeitraum wurde keine Resistenzentwicklung gegenüber dem Medikament beobachtet.

Behandlungsdauer noch offen

In der Therapie bleiben noch Fragen offen. So ist etwa die optimale Behandlungsdauer noch unklar, und es gibt keine eindeutige Empfehlung zu diesem Thema. Über die Langzeitwirkung von Bulevirtid auf die Entwicklung von Leberzirrhose und Leberzellkarzinom liegen derzeit keine Daten vor. Es werden mittel- und langfristige Daten benötigt, um die Auswirkungen der Bulevirtid-Behandlung auf klinische Endpunkte bei Hepatitis-Delta-Patienten zu bewerten. Ebenso untersucht werde, ob das Medikament mit Interferon kombiniert werden kann. 

„Das Medikament ist in Österreich bereits zugelassen und wird dort ohne relevante Nebenwirkungen bei Patient:innen mit Hepatitis D angewandt“, berichtet Thomas Reiberger von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der MedUni Wien im Vorfeld des Kongresses.

Die Ergebnisse der Studie waren lang erwartet. „Wir stehen möglicherweise am Beginn eines neuen goldenen Zeitalters der Hepatologie“, sagte er. „Für die Menschen, die mit Hepatitis D leben, gibt es bald eine Erleichterung, und wir machen Fortschritte bei der Suche nach einem Heilmittel für Hepatitis B, von der Millionen Menschen auf der ganzen Welt betroffen sind. Die Wissenschaft steuert auf eine mögliche Revolution im Gesundheitswesen zu“, erklärte Thomas Berg, Generalsekretär der EASL und Leiter der Abteilung für Hepatologie am Universitätsklinikum Leipzig in Deutschland, vor der Präsentation.

Die weitgehend unerforschte Hepatitis D kommt nur gemeinsam mit „B“ vor, und das äußerst selten. Sie kann gleichzeitig mit der Hepatitis B oder zusätzlich bei bereits bestehender Hepatitis-B-Infektion übertragen werden. In letzterem Fall ist die Gefahr einer Chronifizierung mit schweren Langzeitfolgen größer. Übertragen wird sie vorwiegend über Blut und Sexualkontakte. Wer gegen Hepatitis B geimpft ist, ist auch vor Hepatitis D geschützt.

Rund 15 bis 20 Millionen Menschen weltweit waren bereits in Kontakt mit dem Hepatitis D Virus, so die Schätzung von Forscher:innen. Nach Angaben der WHO tritt der Virus vor allem im Mediterranen Raum auf, Mittleren Osten, Pakistan, Zentral- und Nordasien, Japan, Taiwan, Grönland, Teilen Afrikas, den Amazonas Becken und bestimmten Bereichen des Pazifiks. Eine niedrige Prävalenz gibt es in Nordamerika, Nordeuropa, Südafrika und Ostasien. Die Mehrzahl der Patient:innen mit Hepatitis D Infektion haben eine fortgeschrittene Krankheit, die mit der Zeit in einer Zirrhose mündet. 

Der internationale Leberkongress (ILC) findet vom 22. bis 26. Juni 2022 im ExCel London statt (2023 in Wien) und kann online mitverfolgt werden (Livestream nur mit Registrierung): WebsiteTwitter-Kanalyoutube-Kanal Der ILC wird jährlich von der European Association for the Study of the Liver (EASL) ausgerichtet und zieht wissenschaftliche und medizinische Experten aus der ganzen Welt an, die sich über die neuesten Erkenntnisse der Leberforschung informieren und klinische Erfahrungen austauschen... Für die diesjährige Ausgabe werden rund 6.000 Forscher, Ärzt:innen, politische Entscheidungsträger, Branchenführer und Journalisten aus etwa 120 Ländern erwartet. Die teilnehmenden Fachleute präsentieren, diskutieren und ziehen Schlussfolgerungen aus den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen in der Hepatologie und arbeiten daran, die Behandlung und das Management von Lebererkrankungen in der klinischen Praxis zu verbessern.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1966 ist diese gemeinnützige Organisation Europäische Vereinigung für das Studium der Leber (EASL) auf über 4.800 Mitglieder aus aller Welt angewachsen, darunter viele der führenden Hepatologen in Europa und darüber hinaus. Die EASL ist die führende Lebervereinigung in Europa, die sich zu einem bedeutenden europäischen Verband mit internationalem Einfluss entwickelt hat und eine beeindruckende Erfolgsbilanz bei der Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Lebererkrankungen, der Unterstützung einer breiteren Ausbildung und der Förderung von Veränderungen in der europäischen Leberpolitik vorweisen kann. 

Throwback, Professor Dr. Heiner Wedemeyer spricht 2019 auf der ILC über virale Hepatiden

Pressekonferenz ILC 2020 EASL Wedemeyer Bulevirtide
Heiner Wedemeyer (Mitte) hat auf dem internationalen Leberkongress die Phase III der randomisierten Studie zu Bulevirtide vorgestellt.
Steve Forrest & Andrew McConnell / EASL
ISLL
Der Kongress wird jährlich von der European Association for the Study of the Liver (EASL) ausgerichtet und zieht wissenschaftliche und medizinische Experten aus der ganzen Welt an, die sich über die neuesten Erkenntnisse der Leberforschung informieren.
Steve Forrest/Workers' Photos