Um das Recht auf ein gewaltfreies Leben für Frauen zu gewährleisten, müsse die Istanbul-Konvention, das derzeit wichtigste Rechtsinstrument gegen Gewalt an Frauen in Europa, endlich umgesetzt werden, betonte Frieben. Österreich habe diese zwar ratifiziert, setze die Sorgfaltspflicht im Opferschutz aber nicht um. Dafür brauche es 250 Millionen Euro jährlich sowie 3.000 zusätzliche Vollzeitarbeitskräfte in der Gewaltpräventionsarbeit. Weiters forderte Frieben eine „echte Pensionsreform, anstatt reiner Kosmetik in Form des automatischen Pensionssplittings“, finanzielle sowie gesellschaftliche Anerkennung von Sorgearbeit und einen „seriösen Kampf gegen die Teuerung“, die Frauen stärker betreffe als Männer. „Wir brauchen eine Frauenpolitik, die Frauen schützt und unterstützt“.
"Europa betrachtet Österreich als Land der Femizide“, betonte Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser. Im Jahr 2022 gab es 28 Frauenmorde, bei dem größten Teil der Täter handelte es sich um den Partner oder jemanden aus dem engeren Umfeld der Frau. Immer wieder seien Täter bereits polizeibekannt, unternommen werde jedoch nichts. Gegen den 50-jährigen Polen, der vergangene Woche zwei Menschen getötet haben soll, hätte seine Lebensgefährtin wenige Tage vor den Morden wegen Körperverletzung Anzeige erstattet. „Aber es gab kein Betretungsverbot und er wurde nicht in U-Haft genommen“, so Rösslhumer. Anstatt das eigene Versagen zu analysieren, werde Rassismus geschürt. „Aber Gewalt an Frauen ist kein Ausländerproblem, es ist ein Männerproblem“, betonte sie.
Den Vorwurf, wonach die Regierung mit ihrer Frauenpolitik lediglich die Interessen einer privilegierten Minderheit vertrete, wies die grüne Frauensprecherin Meri Disoski mit Verweis auf die Anhebung der Ausgleichszulage auf 1.110 Euro und der Einführung des Frühstarterinnen-Bonus zurück. Von diesen Maßnahmen würden vor allem Frauen im untersten Einkommensdrittel profitieren. Man habe die Mittel für Gewaltschutz und -Prävention ressortübergreifend erhöht, im Frauenministerium um fast 140 Prozent. Außerdem gäbe es drei Millionen Euro zusätzlich für Start- und Übergangswohnungen für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder. „Ob im Gewaltschutz, bei der Altersarmut von Frauen, in der Frauengesundheit oder bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wo andere weggeschaut und Probleme unter den Teppich gekehrt haben, schauen wir Grüne hin und handeln“, sagt Disoski in einer Aussendung am Freitagnachmittag.
14.600 Wegweisungen im Jahr 2022
Grundsätzlich lobenswerte Maßnahmen würden oft an der Umsetzung scheitern, sagte Rösslhumer. Ob einer Frau geholfen werde, hänge oft vom guten Willen eines einzelnen Beamten ab. Viele Frauen die bei der Frauenhelpline anrufen, würden einen Anruf bei der Polizei ablehnen, weil sie in der Vergangenheit herablassend behandelt oder nicht ernstgenommen wurden. Außerdem hätten viele Angst vor der Polizei, weil sie nicht sicher seien, ob es wirklich zu einem Betretungsverbot gegen den Mann komme oder sie selber vielleicht sogar selbst weggewiesen werden.
Im Gesamtjahr 2022 ist die Zahl der verhängten Betretungs- und Annäherungsverbote gegen Gewalttäter nach vorläufigen Daten auf rund 14.600 gestiegen. Das erfuhr die APA auf Anfrage beim Bundeskriminalamt (BK). Im Jahr davor waren insgesamt 13.690 solcher Wegweisungen ausgesprochen worden, also rund 900 weniger. 2020 hatte es 11.651 Betretungs- und Annäherungsverbote gegeben.
Im Vorjahr wurden bis Ende November außerdem mehr als 10.000 Gefährder zur Gewaltprävention vorgeladen und knapp 170 sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen durchgeführt. Das sei beinahe eine Verdreifachung, hatte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) im Dezember berichtet. Ganzjahreszahlen lagen hier beim BK noch nicht vor.
Unterstützung für Alleinerzieherinnen gefordert
Etwas Lob gab es von Rösslhumer für das Sozialministerium. Dieses sei „ernsthaft bemüht, ordentlichen Gewaltschutz zu finanzieren“. Es brauche aber ein besseres Zusammenspiel bei der Finanzierung und mehr Engagement etwa vom Familienministerium oder dem Bildungsministerium. Damit die Arbeit in Frauenhäusern gewährleistet werden kann, brauche es mindestens 140 Arbeitsstellen mehr und für jede Einrichtung mindestens 10 leistbare Wohnungen für Gewaltbetroffene. Außerdem forderte Rösslhumer verpflichtende und laufende Schulungen für alle Berufsgruppen, die beruflich mit gewaltbetroffenen Frauen und Kindern zu tun haben.
Ebenso brauche es mehr Unterstützung für Alleinerzieherinnen. Derzeit bekämen nur etwa die Hälfte aller Kinder von Alleinerzieherinnen Kindesunterhalt von den Vätern, kritisierte Andrea Czak, Obfrau des Vereins Feministische Alleinerzieherinnen (FEM.A). Der durchschnittliche Unterhalt, der von Vätern gezahlt werde, liege bei 304 Euro im Monat, die Kinderkosten jedoch bei 900. Es sei Zeit, für die bereits angekündigte Unterhaltsgarantie, betonte Czak und richtete sich direkt an Familien- und Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP): „Arme Kinder sind das Ergebnis einer schlechten Familienpolitik“.
In einem ähnlichen Tenor kommentiert die SPÖ die heutige Pressekonferenz. „Die Bundesregierung lässt Frauen im Stich“, so Frauensprecherin Eva-Maria Holzleitner. Die SPÖ fordere ein Lohntransparenzgesetz nach isländischem Vorbild, einen Rechtsanspruch auf gratis ganztägige Kinderbetreuung ab dem 1. Lebensjahr, einen fixen Anteil der Karenz für Väter und eine gerechte Aufteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit.