„Wir müssen uns dem internationalen Vergleich stellen“, sagte Rauch. „Gesundheit darf keine Frage des Geldes oder des Einkommens sein.“ Das österreichische Gesundheitssystem leiste gute Arbeit, denn auch bei der Lebenserwartung sei man über dem OECD-Schnitt (82 Jahre im Vergleich zum EU-Schnitt mit nur 81 Jahren). Auch bei der Zahl der vermeidbaren Todesfälle liege man leicht darunter (jährlich 170 im Vergleich zum EU-Schnitt von 199). Gesundheitsleistungen müssen in Österreich weiterhin auf einem hohen Niveau zu bekommen sein. „Und dafür brauche ich meine E-Card und keine Kreditkarte“, sagte der Gesundheitsminister. Der Bericht sei ein „grundlegendes Dokument“, um das Gesundheitssystem auch im Zukunft weiter zu verbessern, meinte Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG).
Österreich investiert viel in sein Gesundheitssystem. Im OECD-Vergleich bringt nur Deutschland, Frankreich und Schweden mehr Gelder auf. Auch beim Gesundheitspersonal ist die Alpenrepublik im EU-Vergleich sehr gut aufgestellt. Doch zeigte der OECD-Bericht, dass Österreich sehr hohe Spitalskapazitäten hat bzw. eine Überangebot an Fachärzten. In Österreich gebe es aber bereits eine Tendenz einen „großen Mangel im niedergelassenen Bereich bei den Kassenvertragsärzten haben“, so Rauch.
Lange Wartezeiten auf Termine, keine Öffnungszeiten am Wochenende oder Nachfolge für Hausärztinnen und -ärzte, die in Pension gehen, verursacht ein Ausweichen auf die Ambulanzen. „Wir gehen in Österreich zu oft ins Krankenhaus oder in die Ambulanz, weil uns das System dazu zwingt“, betonte Rauch. „Wir brauchen aber eine Entlastung des stationären Bereichs.“ Die Primärversorgungseinrichtungen müssen daher rascher ausgebaut werden. „Ich bin davon überzeugt davon, nachdem ich schon einige Primärversorgungseinrichtungen besucht habe, das ist das Modell der Zukunft."
Auch die Vorsorge soll weiter verbessert werden, denn „Vorsorge spart Kosten“, sagte der Gesundheitsminister. „Mittel, die für die Vorsorge aufgewendet werden, sind ein zielgerichtetes Investment - volkswirtschaftlich betrachtet -, um spätere Mehrkosten zu vermeiden“, sagte Rauch.
Psychosoziale Versorgung ebenso ein Anliegen
Weiter vorantreiben will Rauch auch die Digitalisierung des Gesundheitsdaten. „Es fängt schon damit an, dass Daten nicht verfügbar sind“, sagte der Minister. „Das ist ein Unding, dass ein Gesundheitsministerium als Bittsteller gegenüber der Länder und Krankenanstalten auftreten muss“, empört sich Rauch. „So kann man keine Gesundheitspolitik machen.“ Die Voraussetzungen - wie etwa die Stärkung der Elektronische Gesundheitsakte ELGA - soll nun vorangetrieben werden.
Aber auch die psychosoziale Versorgung ist dem Minister ein Anliegen, nachdem auch der OECD-Bericht massive Probleme bei Depressionen - vor allem bei Jugendlichen - gezeigt hat. Obwohl sich die Pandemie auf das Leben fast aller Menschen ausgewirkt hat, gab es besonders dramatische Entwicklungen hinsichtlich der psychischen Gesundheit von Millionen junger Europäer, die bei ihrer Ausbildung und ihren sozialen Aktivitäten eingeschränkt waren. In mehreren europäischen Ländern wie Belgien, Estland, Frankreich, Schweden und Norwegen hat sich der Anteil junger Menschen, die über Depressionssymptome berichten, während der Pandemie mehr als verdoppelt und erreichte mindestens doppelt so hohe Prävalenzraten wie in älteren Altersgruppen, berichtete Francesca Colombo, Leiterin der Gesundheitsabteilung bei der OECD. In Österreich sind die Zahlen annähernd so hoch: 41,3 Prozent der 18- bis 24-Jährigen klagten über depressive Stimmung, bei den Erwachsenen sind es 23,7 Prozent. Bei Gesundheit gehe es nicht nur um körperliches, sondern auch seelisches Wohlbefinden, sagte Rauch.
Wie der OECD-Bericht zeigt, hat die Pandemie dazu geführt, dass die Lebenserwartung in der EU im Jahr 2021 im Vergleich zum Stand vor der Pandemie um mehr als ein Jahr gesunken ist. Das ist der stärkste Rückgang, der in den meisten EU-Ländern seit dem Zweiten Weltkrieg beobachtet wurde. Bis Ende Oktober 2022 wurden in den 27 EU-Ländern mehr als 1,1 Millionen Todesfälle durch Covid-19 gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen, weil die Statistik der Übersterblichkeit darauf hindeutet, dass weitere 300.000 Menschen als direkte oder indirekte Folge der Pandemie gestorben sind. Mehr als 90 Prozent der Covid-19-Todesfälle sind bei Menschen über 60 Jahren aufgetreten. Die Sterblichkeitsauswirkung der Pandemie war in den nordischen Ländern (Island, Norwegen, Dänemark und Finnland) am niedrigsten und in den mittel- und osteuropäischen Ländern am höchsten (Bulgarien, Ungarn, Kroatien, Tschechische Republik, Slowenien, Lettland und Rumänien).
Grund dürfte laut Francesca Colombo mehrere Faktoren gewesen sein: die geografischen Gegebenheiten, bereits bestehenden Gesundheitszustände und Anfälligkeiten der Bevölkerung vor der Pandemie, der Zeitpunkt und der Wirksamkeit von Eindämmungsstrategien, die Einführung der Impfung sowie die Unterschiede in den Gesundheitssystemen. Interessanterweise hat Schweden ähnlich hohe Fälle von Depressionen wie Österreich, obwohl Schweden bei den Maßnahmen mehr auf Empfehlungen als auf Vorschriften gesetzt hat und somit weniger Lockdowns hatte.