Experiment

Wie und wo verortet das menschliche Gehirn Berührung?

Menschen haben ihre liebe Not damit, eine Berührung auf der Haut exakt im Raum zu verorten, da sich die Lage des Körpers mehr oder weniger ständig verändert. Eine in den USA tätige Forscherin und ein Kollege von der Universität Salzburg haben nun in Experimenten gezeigt, dass in unserem Gehirn die Verarbeitung von Berührungen offenbar stark darauf bezogen ist, wo sich das Körperteil üblicherweise befindet. Die aktuelle Lage wird demnach nicht immer automatisch berücksichtigt.

red/Agenturen

Wie Berührungen in dreidimensionale Information übersetzt werden, interessiert die Forschungsgruppe um Tobias Heed von der Uni Salzburg bereits seit Jahren. Eingebettet ist dies in Fragen darüber, wie unsere Sinnessysteme den eigenen Körper wahrnehmen und u.a. auf Basis dieser Prozesse steuern. Bisher herrschte auch bei Heed und Kollegen die Annahme vor, dass eine Berührung etwa am Arm sofort damit abgeglichen wird, wo sich die Extremität gerade im Raum befindet. Dann würde die Berührungsinformation direkt in eine 3D-Raumkoordinate umgerechnet, erklärte der Psychologe in Gespräch mit der APA.

In den vergangenen Jahren fanden sich aber immer mehr Hinweise, dass die Sache auch anders ablaufen könnte. Ob das „Gehirn wirklich diese 3D-Koordinaten verwendet“, untersuchten die derzeit an der Tufts University in Boston (USA) tätige Wissenschafterin Stephanie Badde und Heed nun anhand eines neuen Versuchsaufbaus, der kürzlich im Fachjournal „PNAS“ vorgestellt wurde. Die Forscher ließen die Versuchsteilnehmer ihre Hände entweder gekreuzt oder ungekreuzt vor sich ablegen. Im ersten Fall findet sich die rechte Hand dann im linken Wahrnehmungsraum.

Adaptierte Nervenzellen

Die Wissenschafter „gewöhnten“ (adaptierten) die Nervenzellen, die die Berührung registrieren, in der links liegenden rechten Hand an lange andauernde, sich bewegende Berührungsreize. Die Gewöhnung lässt die betroffenen Nervenzellen ermüden, so dass anschließend eher Bewegungen in die entgegengesetzte Richtung wahrgenommen werden - ein sogenannter „Gewöhnungseffekt“.

Dann wurden die Hände entkreuzt und nach einer kurzen Pause wieder überkreuzt. Würde die Raumlage-Information automatisch einberechnet, müsste sich der Gewöhnungseffekt bei der dann erneut im linken Raum liegenden rechten Hand einstellen. „Erstaunlicherweise fand aber Gewöhnung auch dort statt, wo die Hand normalerweise liegt“, sagte Heed. Die linke Hand im rechten Raum zeigte also plötzlich den Gewöhnungseffekt, obwohl sie vorher überhaupt nicht berührt worden war, so der Psychologe.

Die Wissenschafter interpretieren dieses scheinbar paradoxe Ergebnis dahingehend, dass die rechte Hand im Gehirn auch mehr oder weniger fix für den rechten Raum steht, weil sie sich üblicherweise unter der Schulter hängend ebendort befindet. Dass die Lage der Hand während des Gewöhnens offenbar egal ist, ergibt „alles zusammen eine ganz neue Theorie“, betonte Heed.

Gehirn könnte von „Basisstellung“ ausgehen

Wie das zu interpretieren ist, habe den Forschern viel Überlegung abverlangt. Sie spekulieren nun, dass unser Gehirn von einer Art „Basisstellung“ - auf Englisch „default posture“ genannt - ausgeht. Das mache durchaus Sinn, da in der Regel selten mit den Augen überprüft wird, wo sich etwa die rechte Hand gerade befindet. Dazu komme, dass Menschen einen „relativ schlecht“ ausgeprägten Raumlagesinn haben. So fällt es Personen oft erstaunlich schwer, bei Dunkelheit auch in gut bekannten Räumen den Lichtschalter zu finden.

Hat das Gehirn nun meistens keine Information darüber, wo sich eine Hand gerade befindet, geht es davon aus, dass sie dort ist, wo sie meistens ist. Für diese „attraktive Hypothese“ zur Begründung der neuen Befunde gebe es aber noch keine Beweise, betonte Heed. Prozessen hinter der „3D-Umrechnung“ von Berührungen und der dahinterliegenden Organisation der Nervenzellen werde man sich in Zukunft aus der neuen Forschungsperspektive annähern.

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Forscher:innen haben in Experimenten gezeigt, dass in unserem Gehirn die Verarbeitung von Berührungen offenbar stark darauf bezogen ist, wo sich das Körperteil üblicherweise befindet.
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