Medizingeschichte

Eduard von Hofmann: Detektiv des menschlichen Körpers

Mayerling ist ein verschlafenes Örtchen im Süden Wiens. Dass sich dort trotzdem jährlich an die 100.000 Besucher einfinden, liegt an einem Unglücksfall, der seinesgleichen sucht, ging es dabei doch um den Sohn des österreichischen Herrscherpaares: Kronprinz Rudolf. Der 31-jährige Thronfolger erschoß zuerst seine Geliebte Mary Vetsera, um anschließend Suizid zu begehen. Ein Gerichtsmediziner half dabei, ihm trotzdem ein kirchliches Begräbnis zu ermöglichen. Sein Name: Eduard von Hofmann. Er wurde vor 183 Jahren in Prag geboren.

Eva Kaiserseder

Forensische Pathologie. Die meisten von uns haben bei diesem Begriff vermutlich Momentaufnahmen US-amerikanischer CSI-Serien vor ihrem inneren Auge. Wahlweise auch knorrige, wortkarge Männer in weiß gekachelten Sektionssälen. Einer derjenigen, der als Pionier der Gerichtsmedizin gilt und diese Fachdisziplin bahnbrechend vorantrieb, ist ein Österreicher.

Eduard Hofmann, damals noch ohne das ritterliche von im Namen, wurde 1837 in Prag geboren, schon sein Vater war Arzt. 1861 promovierte Hofmann junior an der Universität in Prag und begann seine berufliche Laufbahn quasi in der Blütezeit der Zweiten Wiener Medizinischen Schule. Kurz gefasst hatte diese Denkschule mit Wiener Wurzeln einen Paradigmenwechsel angetrieben: Weg von der naturphilosophischen Medizin hin zur naturwissenschaftlich orientierten Medizin. Auch der Grundstein für Spezialisierungen auf unterschiedlichste Disziplinen wurde damals in Wien gelegt: Die ersten Haut-, Augen- und Hals-Nasen-Ohren-Kliniken der Welt wurden in Wien gegründet.

Und große Namen wie der Internist Joseph Skoda sowie der Pathologe Carl von Rokitansky sind jedem auch nur marginal an Medizinhistorie Interessierten als Proponenten der Wiener Medizinischen Schule ein Begriff. Rokitanskys Part war dabei der eines Erbauers neuer Denkgebäude, weg von der Beschreibung von Krankheiten hin zu einer Spurensuche nach deren Erklärungen, Stichwort Beethoven: Eine der ersten Obduktionen, die Rokitansky vornahm, galten dem musikalischen Genie und den anatomischen Gründen seiner Taubheit. Der Kliniker Skoda hingegen verfeinerte Methoden wie Auskultation und Perkussion und schuf „durch Vergleich mit dem pathologisch-anatomischen Befund die Grundlage der modernen Diagnostik“, so sein biografischer Eintrag auf der Website der MedUni Wien.

Aber zurück zu Eduard von Hofmann. Dieser begann kurz nach seiner Promovierung in Prag als Assistent und zwar an der dortigen Lehrkanzlei für gerichtliche Medizin. Nachdem er dort schrittweise seine Karriere vorantrieb, unter anderem Vorträge über Gerichtsmedizin hielt und sich 1865 über Staatsarzneikunde habilitierte, übernahm er, nach einigen weiteren Zwischenschritten, 1875 die Wiener gerichtsmedizinische Lehrkanzlei. Immer vor dem geistigen Hintergrund der Zweiten Wiener Medizinischen Schule, die – wir erinnern uns – mit ihren Ideen in der Medizin sehr präsent war. Carl Rokitanskys eigene Hochzeit als aktiver Pathologe und universitätspolitisch wichtige Persönlichkeit war damals übrigens gerade vorbei, schließlich war dieser über 30 Jahre älter als Hofmann und zeitgleich mit dessen Wiener Berufsantritt offiziell in Pension gegangen.

Der Fall Mayerling

Zu Hofmanns Leistungen zählt in diesem Kontext sicherlich, gerichtliches und sanitätspolizeiliches „Obduktionsgut“ an sein Institut geholt zu haben, was für Wissenschaft und Lehre wesentlich war. Er stellte damit die so genannte Gerichtsmedizin auf ganz neue Füße und gab ihr die Relevanz, die ihr zustand. Vormals wurden Obduktionen an der pathologischen Anatomie der Universität durchgeführt, an der Rokitansky lange das Sagen hatte (er hatte dort von 1844 bis 1875 eine Professur inne). Hofmann war es wichtig, sein Arbeits- und Forschungsgebiet aus dieser Umklammerung zu lösen und die forensische Pathologie nicht mehr nur als Anhängsel der anatomischen Patholgie zu sehen. Zudem war Hofmann jemand, der mehrere Sprachen sprach, unter anderem französisch und italienisch. Literatur, die anderen ob mangelnder Sprachkenntnisse verborgen blieb, konnte er lesen, den Kollegen somit wichtige Informationen weitergeben und sich mit ihnen austauschen.

1876 wurde Eduard von Hofmann Mitglied des Obersten Sanitätsrats und 1888 dessen Präsident. 1878 erschien sein „Lehrbuch der gerichtlichen Medizin". Sein berühmtester Fall war wohl der mysteriöse Tod des habsburgischen Kronprinzen Rudolf in Mayerling: Hofmann wies einen Suizid nach, was ein kirchliches Begräbnis anno 1889 unmöglich gemacht hätte. Gleichzeitig bestätigte er aber, dass Rudolf an geistiger Verwirrtheit gelitten hatte und seine Tat als Konsequenz dieser Umnachtung passiert war. Somit stand einem kirchlichen Begräbnis nichts mehr im Wege.

Anwalt der Gerichtsmedizin

Enorm wichtig für Hofmanns Arbeit, so zynisch das klingt, war zudem der Brand des Ringtheathers im Dezember 1881. 380 Menschen fielen diesem Brand zum Opfer. Eduard von Hofmann wies Kohlenoxyd im Blut der schlimm zugerichteten Leichen nach und „bewies so, dass Rauchgasevergiftungen zum Tod führen können. Er erbrachte hiermit den Nachweis, dass das Einatmen von Rauchgasen ein sicherer Beweis dafür ist, dass jemand lebendig verbrannt ist und dass das Fehlen von Kohlenoxydgas im Blut einen Hinweis für postmortales Verbrennen darstellt“, so die MedUni Wien dazu. Als Nebeneffekt des Ringtheaterbrandes wurde übrigens die erste Rettungsorganisation Wiens gegründet, die so genannte Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft, die es bis 1938 in privater Hand gab. Danach wurde sie in die städtische Berufsfeuerwehr eingegliedert.

Eduard Ritter von Hofmann (1884 wurde er dazu ernannt) jedenfalls ist als Erneuerer der Gerichtsmedizin und als großer Verteidiger ihrer Relevanz und Eigenständigkeit in die medizinischen Annalen eingegangen. Seine Arbeit gilt als mitentscheidend für die internationale Bedeutung der Wiener Gerichtsmedizin. Er starb am 27. August 1897 in Tirol mit gerade einmal 60 Jahren.

 

 

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Hubertl / Wikimedia Commons
„Zu Hofmanns Leistungen zählt in diesem Kontext sicherlich, gerichtliches und sanitätspolizeiliches „Obduktionsgut“ an sein Institut geholt zu haben, was für Wissenschaft und Lehre wesentlich war."