Arzneimittelengpass

Pharma-Industrie soll Lager einrichten

Hunderte Arzneimittel sind in Österreich nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Führende Krankenhausapotheker forderten jetzt im Gespräch mit der APA die Einrichtung nationaler Lager für Medikamente durch die Pharmaindustrie. Insgesamt dürften Österreichs Spitäler aber - auch durch Covid-19 - besser aufgestellt sein als zuvor. In den Apotheken soll eine erweiterte Notfall-Abgaberegelung die Aut-idem-Debatte (gemeint: Debatte um die Wirkstoffverschreibung) entschärfen.

red/Agenturen

„In den Krankenhäusern sind wir verpflichtet, einen Vorrat an Medikamenten für zumindest 14 Tage zu haben. Die Pharmaindustrie und der pharmazeutische Großhandel sind nicht zur Vorratshaltung verpflichtet. Pfizer hat sein Lager in Deutschland, Glaxo in Italien. Industrie und Großhandel sollten wieder nationale Lager aufbauen. Das geht am schnellsten“, sagte Gunda Gittler, Leiterin der Krankenhausapotheke der Barmherzigen Brüder in Linz, verantwortlich auch für den Einkauf der Einrichtungen der Barmherzigen Brüder insgesamt sowie für die öffentliche Apotheke des Linzer Spitals zuständig. Zu Beginn der Covid-19-Pandemie hat sich laut der Pharmazeutin herausgestellt, wie rasch auch in der EU die Grenzbalken selbst für potenziell lebensrettende Produkte wieder heruntergehen könnten.

Das Thema der mangelnden Verfügbarkeit von Arzneimitteln ist ein hoch komplexes Problem: unterschiedliche Gegebenheiten für Krankenhäuser und extramural (niedergelassene Ärzte, öffentliche Apotheken), Lieferschwierigkeiten durch echte Produktionsausfälle, Transportprobleme, Marktmechanismen (unterschiedliche Preise) und vieles mehr stehen im Hintergrund. Hinzu kommt, dass es ein wesentlicher Unterschied ist, ob ein Schwerkranker ein für ihn kritisches Medikament nicht erhalten kann oder - zum Beispiel - bei einem Bluthochdruckpatienten bloß von einem Präparat auf ein gleichwertiges mit selben Wirkstoff eines anderen Unternehmens gewechselt werden muss.

„Die Situation außerhalb der österreichischen Krankenhäuser“, so Gittler: „Wir haben derzeit mehr als 500 Medikamente nicht oder nur eingeschränkt lieferbar. In der Apotheke können wir nach Rücksprache mit dem Arzt zum Beispiel auf ein anderes, gleichwertiges Medikament 'switchen'. Kurzfristig Lieferschwierigkeiten gibt es bei manchen oralen Antibiotika.“

Hier müsse es einfach das längerfristige Ziel sein, Produktionen wieder aus Asien (China, Indien) nach Europa zu bringen. Die Probleme hätten aber auch etwas mit der Forderung von Krankenkassen etc. nach möglichst niedrigen Preisen zu tun. „Die Pharmaindustrie hat die Produktionen ja nicht aus 'Spaß' nach Indien oder China verlagert bzw. lässt dort herstellen“, sagte die Apothekerin. Das Rückholen von Pharmaproduktionen und Lagerhaltung würden aber den Wiederaufbau von Know-how und höhere Preise für Arzneimittel bedeuten. „Das ganze Problem muss auch auf EU-Ebene angegangen werden.“

Lieferprobleme auch bei Generika

Die aktuelle Situation in den öffentlichen Apotheken, so der Wiener Apotheker Hans Jakesz mit jahrzehntelanger Erfahrung und in seinem Berufsleben in vielfältigen Bereichen in Sachen Apotheken tätig: „Die Engpässe sind wirklich massiv. Ganz besonders trifft das auf die Breitbandantibiotika zu. Ich habe heute mit Ach und Krach drei Schachteln eines verschriebenen Antibiotikums erhalten. Vor kurzem habe ich drei Tage gebraucht, um ein Antibiotikum für einen Patient:innen mit Lungenentzündung aus Portugal zu bekommen. Mit den Antibiotika ist es wirklich mühsam.“

Etwas anders ist es mit den Problemen mit den - ebenfalls - oft generischen Arzneimitteln (Nachahmepräparate), bei denen derzeit ebenfalls Lieferprobleme der oft Dutzenden Hersteller gleichwertiger Präparate aufgetreten sind. Jakesz: „Das sind zum Beispiel viele Blutdruckmedikamente. Da kaufen wir, was wir kriegen. Jeder Arzt ist froh, wenn der Patient überhaupt etwas bekommt. Das fordert jeder Arzt. Damit kommen wir ganz gut zurecht. Die Arzneimittelversorgung lässt sich derzeit aufrecht erhalten - mit Ausnahme der Antibiotika.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat vor kurzem in diesem Zusammenhang wieder einmal die sogenannte Aut-idem-Regelung (aut idem=lateinisch für oder das Gleiche, Anm.) mit Wirkstoffverschreibung durch den Arzt und Auswahl des vorhandenen Medikaments durch die Apotheken befürwortet. Ärztekammer und Pharmaindustrie sind vehement dagegen. Mehr Medikamente kommen allein deshalb nicht auf den Markt. Jakesz sieht eine Möglichkeit, die auch standespolitisch gefärbten Debatten um Aut-idem zu umschiffen: „Man könnte bloß den Paragraf 5 des Apothekengesetzes mit der Abgaberegelung für rezeptpflichtige Arzneimittel im Notfall ein bisschen erweitern. Dann braucht man Aut-idem nicht mehr.“

Im Notfall darf ein Apotheker oder eine Apothekerin in Österreich die kleinste Packung eines rezeptpflichtigen Medikamentes ohne Vorlage einer ärztlichen Verschreibung ausfolgern. Würde man also eine Regelung schaffen, wonach auch ein Versorgungsengpass ein solcher Notfall wäre, könnte das in den Apotheken helfen.

Zentralisierter Einkauf von Medikamenten

Die österreichischen Krankenhäuser sehen die Versorgung in ihrem Bereich mittlerweile deutlich besser gesichert als noch vor der Covid-19-Pandemie. Gernot Idinger, Krankenhausapotheker in Steyr in Oberösterreich und leitender Einkäufer für die OÖ-Gesundheitsholding: „Ich bin hier gelassen. Wir sind jetzt besser aufgestellt als vor der Pandemie. Wir achten darauf, für Medikamente etc. immer zwei bis drei Lieferanten zu haben. Wir haben in Oberösterreich bei einem Großhändler ein Notfalllager für die wichtigsten Arzneimittel für einen Bedarf von zwei bis drei Monate eingerichtet.„

Das sei de facto - auch mit den Erfahrungen während der Covid-19-Pandemie - bei allen neun Krankenhausträgern der österreichischen Bundesländer sowie der Häuser der Barmherzigen Brüder und der Barmherzigen Schwestern (Vinzenz-Gruppe) so geschehen. Idinger: „Im Notfall arbeiten wir zusammen. Wir haben uns für den Einkauf von Medikamenten zusammengeschlossen und stimmen uns ab.“ Auch der Krankenhausapotheker aus Steyr spricht sich für nationale Pharma-Lager der Industrie aus.

Sowohl Gittler als auch Idinger erteilen jedenfalls einem zentralisierten Einkauf von Medikamenten durch, staatliche Stellen oder einem Zentrallager, zum Beispiel beim Bundesheer, eine eindeutige Absage. Die Linzer Krankenhausapothekerin, die auch im Vorstand der Praevenire-Gesundheitsinitiative aktiv ist: „Ein Zentrallager ist ein Unsinn. Eine zentrale Beschaffung ist etwas, vor dem ich sehr warne.“ Idinger ergänzte: Die von manchen Politikern gewünschte Zentralisierung werde im Kern über die Zusammenarbeit der Krankenhausapotheker der Spitalsträger in Österreich sowieso schon gelebt.

Sogenannte Tender-Käufe - eine Stelle kauft nur bei einem Produzenten - seien überhaupt gefährlich. „Das führt zum Monopol eines Herstellers, die anderen ziehen sich vom Markt zurück“, sagten die beiden Fachleute praktisch unisono. Am Ende stünden dann höhere Preise wegen der Monopolstellung und noch weniger Versorgungssicherheit.

Taskforce analysiert und berät zur Versorgungssituation bei Arzneimitteln

Von der österreichischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt haben die Verantwortlichen in den Krankenhausapotheken übrigens erst in den vergangenen Monaten eine potenziell hoch gefährliche Situation umschifft. Produktionsbedingt war plötzlich das Biotech-Medikament rtPA zur Auflösung von Blutgerinnseln im Gehirn bei einem Schlaganfall nur mehr eingeschränkt verfügbar.

Idinger: „Wir haben eng und gut mit dem Hersteller zusammengearbeitet und die verfügbaren Mengen österreichweit ausschließlich für die 'Stroke'-Units bereitgestellt.“ Für andere Anwendungen wurde Ersatz gefunden. Darüber hinaus, so Gittler, ging man durch Bereitstellung kleinster rtPA-Einheiten für die Körpergewichts-abhängige Dosierung bei Schlaganfallpatienten mit den Ressourcen optimal um. Die Verantwortlichen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Pharmaindustrie, Großhandel, Apotheker und andere Fachleute analysieren und beraten die Versorgungssituation bei Arzneimitteln im Rahmen einer Taskforce regelmäßig. Auch das sei ein wesentlicher Fortschritt, erklärte der Experte.

Medikamente
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