Justiz

Kritik nach Haft für Demenzkranke

Der Erwachsenenschutzverein Vertretungsnetz fordert, Menschen mit demenzieller Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung von einer Unterbringung im Maßnahmenvollzug auszunehmen. Dieser sei „ein komplett falsches Setting für diese Personengruppe“, sagte Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung, im Zusammenhang mit dem Fall einer demenzkranken 93-Jährigen, die in Wien nach einem Angriff auf ihre Pflegerin in einer Haftanstalt gelandet war.

red/Agenturen

Zweck der Unterbringung sei die Behandlung und „Besserung“ im Sinne eines Abbaus der Gefährlichkeit. „Diese Menschen aber verstehen oft nicht einmal, warum sie untergebracht sind und können die geforderte Compliance nicht leisten“, gab Marlovits zu bedenken. „Damit haben sie keinerlei Perspektive auf Entlassung oder auch nur auf Lockerungen, was wiederum zu extrem langen Unterbringungszeiten führt.“ Es sei bedauerlich, dass das erst kürzlich beschlossene Gesetz zur Reform des Maßnahmenvollzugs keine Ausnahmeregelung vorsieht. Es stelle „im Gegenteil fest, dass der Kreis der Betroffenen unverändert bleiben soll“.

Das Vertretungsnetz vertritt seit vielen Jahren als gerichtlicher Erwachsenenvertreter Personen, die im Maßnahmenvollzug untergebracht sind und aufgrund ihrer psychischen Erkrankung als zurechnungsunfähig gelten. „Ihre Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht. Wir vertreten auch einige Menschen, die eine intellektuelle Beeinträchtigung haben oder demenziell erkrankt sind und die z.B. nach aggressiven Vorfällen in Pflegeeinrichtungen eingewiesen wurden“, berichtete der Verein am Montag.

Strafverfahren wurde eingestellt

Die demenzkranke 93-Jährige war am 27. März in ihrer Wohnung in Wien-Wieden krankheitsbedingt auf ihre 24-Stunden-Pflegerin losgegangen, weil sie die Frau für eine Einbrecherin gehalten hatte. Die Pflegerin blieb unverletzt, die Seniorin wurde zunächst auf der psychiatrischen Abteilung der Klinik Landstraße stationär aufgenommen. Dann aber habe ein Haft- und Rechtsschutzrichter „völlig falsch“ entschieden, so Michael Dohr, der Rechtsvertreter der Hochbetagten, nämlich auf eine vorläufige Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum.

Die Frau kam in die Sonderanstalt Wilhelmshöhe, eine Außenstelle der Justizanstalt Wien-Josefstadt, die auf betagte Häftlinge ausgerichtet ist. Die 93-Jährige, die seit sechs Jahren an schwerer Demenz leide, blieb dort mehr als zwei Wochen, sei völlig desorientiert gewesen und habe Panikattacken erlitten. Das Strafverfahren gegen die Frau wurde laut dem Anwalt inzwischen eingestellt.