Ärztekammer für Wien

Ärztliche Zwangsverpflichtung: Für Ärztekammer rechtlich vom Tisch

Ärzt:innen für eine gewisse Zeit in das öffentliche Gesundheitswesen zu zwingen: Diese Forderung steht seitens Politik und Sozialversicherung immer wieder einmal mehr oder weniger nachdrücklich im Raum. Stark umstritten ist die Idee aber allemal, zudem sie auch rechtlich ein Hasardspiel ist. Die Wiener Ärztekammer hat jetzt juristische Fakten auf den Tisch gelegt und ein Gutachten präsentiert.

Eva Kaiserseder

„Wir waren selbst positiv überrascht, wie eindeutig dieses Gutachten ist“, so Stefan Ferenci, geschäftsführender Vizepräsident der Wiener Ärztekammer und Kurienobmann der Angestellten Ärzte. Besagtes Rechtsgutachten wurde von der Wiener Ärztekammer bei Karl Stöger, Medizinrechtler an der Universität Wien, in Auftrag gegeben und hat eine klare Conclusio: Ärzt:innen gesetzlich in das öffentliche Gesundheitswesen zu zwingen ist nicht nur verfassungswidrig, sondern auch unionsrechtswidrig.

Das Ergebnis ist für die Ärztekammer hieb- und stichfest: Eine gesetzliche Berufspflicht im öffentlichen Gesundheitswesen sei schlicht eine „DDR-Zwangsfantasie“, so Ferenci, und nichts, was sich tatsächlich umsetzen ließe, auch nicht durch etwaige rechtliche Schlupflöcher. Denn Stöger zeigt hier ganz klare Grenzen auf: Wer grundsätzlich in die Grund- und Freiheitsrechte eingreifen will (hier würde es das Verbot von Zwangs- und Pflichtrbeit und um die Erwerbsfreiheit laut Europäischer Menschenrechtskommission gehen) darf das nur, wenn der Eingriff verhältnismäßig ist. Was heißt dieser Fachterminus? Es müssen insgesamt vier Kriterien erfüllt sein, nämlich muss ein solcher Eingriff

  • im öffentlichen Interesse liegen,
  • zur Zielerreichung geeignet sein,
  • erforderlich, d.h. das gelindeste Mittel sein und
  • adäquat in Hinblick auf Ziel/Mittel/Relation sein.

 

Und ja, laut Gutachten liegt eine ärztliche Tätigkeitsverpflichtung zwar im öffentlichen Interesse, allerdings ist schon der nächste Punkt problematisch. Denn zur Zielerreichung geeignet ist eine derartige Verpflichtung nicht. Schließlich gibt es keinen Ärztemangel, der das rechtfertigen würde, sondern eine Zuteilungsproblematik. Mangelfächer wie etwa Kinderheilkunde oder Dermatologie sind unattraktiv, weil die so genannte „Gesprächsmedizin“ weniger gut honoriert wird, das Patientenvolumen daher ungleich größer sein muss, um ein vernünftiges Einkommen zu erzielen und die mangelnde Zeit für die Patient:innen Frust und Unzufriedenheit unter den Mediziner:innen erzeugt. In Folge dünnen diese Fächer aus. Weitergedacht würde eine Zwangsverpflichtung unter Umständen abschreckend auf künftige Studierende wirken. Ohnehin stehen die jetzt Studierenden in ihrer Ausbildung dem öffentlichen System ja schon zur Verfügung, etwa im Turnus.

Zudem gäbe mehrere so genannte gelindere Mittel als Alternative zur Zwangsverpflichtung, um die Personalsituation im öffentlichen Gesundheitssystem zu verbessern. Dazu zählen etwa eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den öffentlichen Spitälern, eine Attraktivierung des kassenärztlichen Bereichs, Stichwort Kassenvertragsrecht, oder diverse Studienkreditmodelle.

Zwang kann keine Strategie sein

Indirekt verschärfend für die Mangelthematik kommt der „Braindrain“ ins Ausland hinzu. Die Abwanderung vorrangig deutscher Studierenden, die nach dem Studium an den hiesigen Medizinuniversitäten zurückkehren, ist ein großes Thema. Dass eine Studienplatzerhöhung damit nicht greifen kann, um mehr Mediziner.innen ins System zu bekommen, liegt auf der Hand. In Zahlen: Der mittelfristige Nachbesetzungsbedarf an Mediziner:innen in Österreich, nur um den Status quo zu halten, liegt bei mindestens 1.500 Absolventen pro Jahr. An den öffentlichen und privaten Universitäten gibt es jährlich zwar rund 1.400 Medizinabsolventen, aber nur 60 Prozent bleiben in Österreich und arbeiten hier als Ärzt:innen. Es gibt also ein reales Potenzial von nur 840 Absolventen pro Jahr, und das sind um 660 zu wenig, um den eigentlichen Bedarf zu decken, rechnet die Ärztekammer vor. Studienplätze nach dem Gießkannenprinzip zu erhöhen läuft also ins Leere, solange der Prozentsatz jener, die hier bleiben, nicht deutlich größer wird.

Dass man aber die so entscheidende Ausbildungsthematik mit ihren vielen Stellschrauben nicht von heute auf morgen radikal verändern kann, um den Gesundheitsnotstand zu lösen, ist klar. Dass es schnell greifende Gegenstrategien vor allem für den öffentlichen Gesundheitsbereich braucht, ist genauso klar. „Als kurzfristige Lösung für die Personalnot in Wiens Spitälern sehe ich daher etwa die von uns schon geforderten Bleibe- und Rückkehrprämien als adäquat“, erklärt Ferenci, der als Obmann der Kurie Angestellte Ärzte in Wien seit Monaten vehement die Missstände in den dortigen Krankenhäusern anprangert. Die Prämie sei nicht nur deshalb so wichtig, weil die Ärzt:innen sich das verdient hätten, sondern weil es unbedingt gälte, Personal zu halten und wieder zurückzugewinnen. Damit würde man Zeit gewinnen für diejenige Reformen, die nicht von heute auf morgen passieren können. Eine Zwangsverpflichtung sei jedenfalls keine Strategie, abgesehen von der rechtlich nun eindeutig belegbaren Fragwürdigkeit, so Ferencis Fazit.