IMBA-Chef Knoblich: „Wir versuchen die harten Nüsse zu knacken“

Vor 20 Jahren startete die Forschung am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Seither versuchen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter des Instituts „die harten Nüsse zu knacken“, erklärte Jürgen Knoblich, der seit fünf Jahren das IMBA interimistisch leitet, im Gespräch mit der APA.

red/Agenturen

2020 hat der Forscher auch medinlive.at ein Interview gegeben und dabei über ethische Fragen der Forschung gesprochen (LINK).

APA: Unter Molekularer Biotechnologie kann sich ein Laie kaeum etwas vorstellen - was genau tun Sie hier am IMBA?

Knoblich: Das IMBA ist ein biologisches Grundlagenforschungsinstitut. Wir beschäftigen uns damit, wie Organismen im gesunden Zustand funktionieren, um damit Krankheiten besser zu verstehen. Dabei versuchen wir Fragen anzugehen, die als nicht so einfach zu beantworten gelten. Uns interessieren die harten Nüsse und wir versuchen diese zu knacken.

APA: Was waren aus Ihrer Sicht die Forschungs-Highlights des IMBA in den vergangenen 20 Jahren?

Knoblich: Am meisten Aufmerksamkeit erregt haben sicher die Gehirn-Organoide (Organoide sind wenige Millimeter große, aus menschlichen Stammzellen gewachsene organähnliche Zellstrukturen, Anm.); weiters die Haplobank (eine Stammzellen-Bibliothek, mit der sich gezielt Gendefekte erzeugen lassen, Anm.) von unserem Gründungsdirektor Josef Penninger, und die Fruchtfliegen-Bibliothek (Tausende Fliegenstämme, bei denen man jeweils ein bestimmtes Gen ausschalten kann, Anm.) von Barry Dickson, dem ersten Wissenschafter, der nach Josef hier eingestellt wurde.

Näheres zu zerebralen Organoiden in einer Nachlese eines Vortrags der Forscherin Nina Corsini vom IMBA (LINK).

APA: Das IMBA wurde mit dem Anspruch gegründet, zu den weltweit führenden Forschungsinstituten aufzuschließen - ist das gelungen?

Knoblich: Ja, das ist außer Frage.

APA: Woran machen Sie das fest?

Knoblich: Zum Beispiel an der Zahl der ERC-Preisträger, also die Forschungsförderung durch den Europäischen Forschungsrat ERC, die als sehr elitär gilt. Wir haben 21 ERC-Preisträger am IMBA - und das bei nur 14 Forschungsgruppen. Auch die Zahl unserer Publikationen und die Aufmerksamkeit, die sie erreichen, bringt uns sicherlich an die Weltspitze. Aber ich mag solche Rankings nicht so gerne, weil wir anders sind als andere Forschungsinstitute - die Wissenschafter haben hier die Möglichkeit, die wirklich großen Fragen anzugehen. Man braucht solche Leuchttürme in einem Land, damit man sich daran orientieren kann.

APA: Wichtig dafür ist auch eine entsprechende Forschungspolitik im Land. Josef Penninger hat bei der Gründung des Instituts Aufbruchstimmung geortet, 2015 dann von Stagnation gesprochen. Wie sehen Sie die Situation der Forschung in Österreich heute?

Knoblich: Wir haben ein riesengroßes Problem in diesem Land und das ist die Inflation - und die macht vor der Forschung nicht halt. Die Forschungsinstitute bekommen zwar eine Erhöhung des Budgets, die gleicht aber bei den meisten Einrichtungen nicht einmal die Inflation aus. Das heißt wir haben eine Stagnation oder einen Rückschritt. Das halte ich für sehr problematisch. Wir haben in der Covid-Pandemie gesehen, wie wichtig Institute wie das IMBA oder das Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) sind, wie wichtig die ÖAW für dieses Land ist.

Ich sitze im Review-Board vom Howard Hughes Medical Institute, wo wir zur Beurteilung von Wissenschaftern immer wieder den Deletion-Test machen. Dabei stellt man sich vor, wie die Welt aussehe, würde diese Person nicht existieren. Wenn es das IMBA nicht gäbe, dann gäbe es in diesem Land so gut wie keine Fruchtfliegenforschung, dann wäre Österreich nicht bekannt als eines der Zentren der Organoid-Forschung, dann gäbe es wahrscheinlich gar keine Forschung an pluripotenten Stammzellen, dann wäre in der Covid-Pandemie das Land an die Wand gefahren, weil wir keine Möglichkeit gehabt hätten, neue gefährliche COVID-Varianten rechtzeitig zu detektieren.

An der Forschung pluriponter Stammzellen war auch der Japaner Shin’ya Yamanaka beteiligt. Hierzu ein Porträt: LINK.

APA: Woran mangelt es konkret?

Knoblich: Was ich in Österreich für problematisch halte ist, dass man inhärent klein sein will und dass Erfolg immer suspekt ist. Und das spüren wir auch manchmal und das finde ich sehr schade, weil beim Schifahren schämt man sich auch nicht für eine Goldmedaille. Man sollte die Covid-Krise zum Anlass nehmen zu erkennen, wie extrem wichtig Forschungsförderung ist. Man wird hierzulande nicht dauernd auf Tourismus bauen können, weil Schnee wird es bald nicht mehr geben. Gerade in den Biowissenschaften hat Österreich Aufholbedarf und ich würde mir wünschen, dass man das auch in der Politik erkennt. Das IMBA war und ist zu klein. Es ist nur zusammen mit dem benachbarten Institut für Molekulare Pathologie (IMP) groß genug.

APA: Wie viele Forschungsgruppen müsste das IMBA haben, damit es nicht zu klein ist?

Knoblich: Man könnte gut und gerne das IMBA verdoppeln und das wäre gut investiertes Geld.

APA: Dafür würden sie auch doppelt so viel Geld brauchen?

Knoblich: Wir erzeugen hier sehr viel Talent und haben hervorragende Wissenschafter. Es wäre wunderbar, wenn wir Leute, die hier groß geworden und extrem erfolgreich sind, halten könnten und permanent anstellen könnten.

APA: Sie haben bereits die notwendige künftige finanzielle Ausstattung des Instituts angesprochen - sind in Zukunft auch fachliche Adaptionen erforderlich?

Knoblich: Extrem wichtig für das Institut ist, dass wir endlich die Führung langfristig festlegen und dass wir die Kultur beibehalten können, Wissenschaftern zu erlauben, sehr riskante Sachen zu machen. Thematisch sehe ich zwei Felder, in denen wir uns entwickeln sollten. Das eine ist Computational Biology und Artificial Intelligence. Angesichts der unglaublichen Datenmengen, die wir generieren, wäre das IMBA gut beraten, hier neue Akzente zu netzen. Und der zweite Bereich ist die Neurobiologie: Hier wäre es extrem wichtig, Gruppen zu haben, die hochriskante Forschung machen. Es gibt in Wien eine sehr gute Neurobiologie-Landschaft, aber am Vienna BioCenter so gut wie nichts.

APA: Apropos Führung: Sie leiten seit 2018 - also seit fünf Jahren - das IMBA interimistisch - ist das nicht eine Geringschätzung des Instituts, eine Personalentscheidung so lange hinauszuzögern?

Knoblich: Ja. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

APA: Die Position des IMBA-Direktors wurde im September vergangenen Jahres ausgeschrieben. Haben Sie sich beworben?

Knoblich: Ich habe mich beworben, aber ich glaube, es wäre ganz gut, wenn jemand von außen käme und es einen Neuanfang gibt. Ich bin Wissenschafter und nicht Manager, ich hänge an diesem Job nicht unbedingt, ich hänge an der Forschung.

APA: Mit ihrer Forschung ist es Ihnen gemeinsam mit Madeline Lancaster vor genau zehn Jahren gelungen, die ersten Gehirn-Organoide aus pluripotenten Stammzellen herzustellen, mit denen man Krankheiten studieren kann. Wie hat sich das Gebiet entwickelt?

Knoblich: Mit unserer Entwicklung ist dieses Feld explodiert. Mittlerweile haben wir hier am IMBA einen ganzen Organoid-Zoo und auf diesem Forschungsgebiet eine der größten Konzentration in Europa. Wir haben Organoide für Gehirn, Herz, Blastoide (sehr frühe Phase der Embryonalentwicklung, Anm.), Blutgefäße, Darm und Leber. Und wir können damit einzelne Erkrankungen darstellen. So gibt es ein Modell für Herzinfarkt, für das Herz betreffende Erbkrankheiten, ein Modell für Infertilität, jeweils ein Modell für Autismus, Epilepsie und Gehirntumore, usw..

Zerebrale Organoide sind auch bereits in der medizinischen Praxis angekommen. Wie die Forschung an zerebralen Organoiden den Weg von bench to bedside verändert, hat Martha Feucht, Leiterin des Epilepsiezentrums an der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Wiener AKH, gegenüber „medinlive.at“ geschildert. (LINK)

APA: Josef Penninger kehrt nach Österreich zurück, bekommt eine Professur an der Medizinischen Universität Wien und wird auch Direktor am Helmholtz Zentrums für Infektionsbiologie in Braunschweig. Er hatte ja nach seinem Wechsel 2018 nach Kanada eine Forschungsgruppe am IMBA behalten - wird er diese am IMBA weiterführen?

Knoblich: In diese Gespräche bin ich nicht eingebunden. Dass er seine Forschungsgruppe behält, war eine direkte Absprache zwischen ihm und der Akademie - wir wurden da nicht gefragt.

APA: Sie haben gesagt, am IMBA würden die harten Nüsse geknackt - an welche harte Nuss würden sie gerne noch knacken?

Knoblich: In meinem Labor würde ich gerne verstehen, welche Veränderungen im elektrischen Schaltplan unseres Gehirns zu Erkrankungen wie Epilepsie führen. Im Institut beschäftigen uns auch andere grundlegende Fragen, wie zum Beispiel die Interaktion zwischen den zwei Kopien eines Gens, den sogenannten Schwesterchromatiden, oder wie aus den Transposons, also den springenden Genen, die Viren entstanden sind. Ebenso wäre es wunderbar zu verstehen, warum manche Tiere fehlende Gliedmaßen oder Organe ersetzen können und andere nicht und wie man das steuern kann.

(Das Gespräch führte Christian Müller/APA)

(ZUR PERSON: Jürgen Knoblich, am 24. Oktober 1963 in Memmingen (Deutschland) geboren, studierte Biochemie an der Universität Tübingen. Er arbeitete am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie und am Friedrich-Miescher-Laboratorium der Max-Planck-Gesellschaft, wo er auch sein Doktorat über Zellteilungsmuster in Drosophila abschloss. Nach Postdoc-Jahren an der University of California in San Francisco ging Knoblich 1997 ans IMP nach Wien. 2005 wechselte er ans IMBA, wurde dort stellvertretender wissenschaftlicher Direktor und leitet seit 2018 das Institut interimistisch.)

 

TAGS:
WEITERLESEN:
Spiel mit dem Neuronenfeuer
Aus Alt mach Neu
deutscher Molekularbiologe Jürgen Knoblich
Der deutsche Molekularbiologe Jürgen Knoblich arbeitet als wissenschaftlicher Direktor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien.
Credit: IMBA/Sandra Schartel