Langfristig mehr Ärzt:innen notwendig

Während Politiker wie Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker zum Teil mehr Medizin-Ausbildungsplätze an den MedUnis fordern, haben deren Rektoren bisher abgewunken. Es gebe in Österreich genügend Studienabsolventen, sagen sie. Der ehemalige Chef der Wiener städtischen Krankenhäuser, Wilhelm Marhold, sieht das differenziert. Die (Dienst-)Zeiten der Spitalsärzt:innen hätten sich geändert, die Anforderungen an das Berufsleben auch, erklärte er jetzt gegenüber der APA.

red/Agenturen

Marhold war zwischen 2005 und 2014 Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbundes, jetzt Wiener Gesundheitsverbund, hatte zuvor auch als Standesvertreter der Wiener Spitalsärzt:innen fungiert und als Manager wesentliche strukturelle Änderungen beim größten österreichischen Spitalsträger auf die Wege gebracht. Die aktuelle Situation kommentierte er am Rande der Praevenire Gesundheitsgespräche (bis 10. Juli) telefonisch gegenüber der APA.

Insgesamt sieht Marhold die derzeitige Diskussion sowie die Problemlage vielschichtig, einfache Lösungen gebe es nicht. „Man darf nicht vergessen, dass sich die medizinische Arbeitswelt enorm verändert hat. Die Zeiten, in denen die Ärzt:innen in den Spitälern stundenmäßig praktisch unbegrenzt gearbeitet haben, sind vorbei. Die EU-Arbeitszeitregelung für Ärzt:innen in den Krankenhäusern hat zu einer starken Reduktion der Dienstzeiten geführt“, sagte der Experte. Die Universitätskliniken hätten aus Angst vor einem Zusammenbruch deshalb sogar Ausnahmeregelungen durchsetzen können.

Mehr Teilzeit, weniger Vollzeitäquivalente

Laut OECD-Zahlen gehört Österreich zu den Staaten mit den meisten ausgebildeten Ärzt:innen pro Einwohner. Doch - so Marhold - entscheidend seien die Vollzeitäquivalente, in denen sie dann auch für die Versorgung der Patient:innen wirklich zur Verfügung stünden. Der Experte: „Immerhin sehen wir ja auch einen Trend zu einer besseren Work-Life-Balance und zur Teilzeitbeschäftigung von Ärzt:innen. Auf die können die Krankenhäuser aber nicht verzichten, wenn sie genug ärztliches Personal haben wollen."

Wegen der langen Ausbildungszeiten für Ärzt:innen müsse die Problematik mit Sicht auf die weitere Zukunft angegangen werden. Marhold: "Längerfristig werden wir mehr Ärzt:innen brauchen." Das bringe schon der gesellschaftliche Wandel mit sich.

Der Experte hat in der jüngeren Vergangenheit im Rahmen einer Praevenire-Initiative zu notwendigen Reformen im österreichischen Spitalswesen mehrfach auf dringende Änderungen hingewiesen. Dies betreffe vor allem Prozesse und Personaleinsatz in den Krankenhäusern. So erklärte er: „Wir können die Medizin des 21. Jahrhunderts nicht in Strukturen des 20. Jahrhunderts betreiben. Der enorme technologische Fortschritt der Medizin muss in der Organisation des Krankenhausbetriebes und in der Spitalsfinanzierung abgebildet werden.“

„Ambulantisierung“ in Österreich dringend notwendig

Den größten Anteil an den Reformen müsste laut Marhold eine möglichst umfassende „Ambulantisierung“ der jetzt in den österreichischen Krankenhäusern noch immer zu einem guten Teil stationär durchgeführten und mit längerem Spitalsaufenthalt verbundenen medizinischen Leistungen darstellen: „Wir müssen viel mehr auf tagesklinisch durchgeführte Eingriffe setzen. Dazu benötigen wir viel mehr tages-stationäre Einrichtungen, in denen Patient:innen drei, sechs, neun oder zwölf Stunden, nicht aber über Nacht, betreut werden. Die moderne Medizin ermöglicht, dass immer mehr Eingriffe schonender und ohne Notwendigkeit von stationären Aufnahmen durchgeführt werden. Das müssen wir in den Spitälern ermöglichen.“

Daraus würden gemäß dem Experte wesentliche Änderungen resultieren: „Mit dieser vermehrten tagesklinischen Versorgung fallen für das Pflegepersonal und die Ärzt:innen Nachtdienste weg. Das gibt die Möglichkeit für 20-, 30- oder 40-Stunden-Beschäftigungsmöglichkeiten nach den Bedürfnissen des Personals zu schaffen. Damit kann man eine bessere und auch geforderte Work-Life-Balance ermöglichen.“ Tagesarbeit sollte zu einem bisher unbekannten Ausmaß die belastenden Nachtdienste im Spital ersetzen und so die Lebensqualität und Zufriedenheit von Pflege- und Ärztepersonal erhöhen. Auch das Denken in fachspezifischen Bettenstationen sei veraltet. „Spitalsbetten sollten multidisziplinär belegt werden.“

Dahinter steckt, so Marhold, zu einem Gutteil die technologische Entwicklung der Medizin: "Mit der laparoskopischen Chirurgie ("Schlüsselloch"-Chirurgie; Anm.) lassen sich immer mehr Eingriffe schonender durchführen. Das gilt für die Gynäkologie und die HNO genauso wie für die Bauchchirurgie, Orthopädie und viele andere Fachbereiche auch." Gleichzeitig könnten dadurch auch die Aufenthaltsdauern der Kranken in den österreichischen Spitälern weiter reduziert werden bzw. ohne Übernachtung erfolgen. Immerhin kostet ein Spitalstag im Durchschnitt derzeit mehr als 1.100 Euro.

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