Neue Gentechnik - Unvorhersehbare Gefahr oder doch Zukunftschance?

Mit ihrem Vorschlag, einige Verfahren der Neuen Gentechnik (NGT) in der Landwirtschaft mit lockeren Auflagen in der klassischen Gentechnik zu versehen, stieß die EU-Kommission auf deutliche Ablehnung vonseiten der Gentechnik-Skeptiker, wie auch auf Zustimmung aus dem Agrarsektor. Österreichische Wissenschaftsinstitutionen appellierten hingegen dafür, NGT „vorurteilsfrei, aufgeschlossen und auf Basis wissenschaftlicher Evidenz“ zu bewerten.

red/Agenturen

„Die Wissenschaft tritt dafür ein, Pflanzen nach Editierung ihrer eigenen Gene rechtlich mit den gleichen Verfahren wie bei der konventionellen Züchtung zu beurteilen. Die entstehenden Pflanzen sollen nach ihren Eigenschaften, nicht nach der Methode ihrer Erzeugung geprüft werden“, hieß es Ende Juni in einem Appell an Politik, Interessensvertretungen und NGOs.

Eine ideologisch geführte Debatte schüre Angst und spiele der Wissenschaftsfeindlichkeit in die Hände. Das Schreiben, online auf der Präsenz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zu finden, wurde unter anderem von deren Präsidenten Heinz Faßmann, dem Rektor Universität Wien, Sebastian Schütze oder Boku-Rektorin Eva Schulev-Steindl gezeichnet. „In fast 700 erforschten Beispielen in über 40 Pflanzenarten konnten durch die Gen-Editierung größere Schädlingsresistenzen, verbesserte Eiweiß- oder Fettsäurezusammensetzungen oder weniger unverträgliche Inhaltsstoffe erzielt werden“, lautete eines der Argumente.

Klimafitte und schädlingsresistente Pflanzen wären der Gewinn

Andere Gentechnikanwendungen wären längst etabliert, sagte indes die Molekularbiologin Ortun Mittelsten Scheid bei einem ÖAW-Science-Update zum Thema im März. Was man als „rote“ oder „weiße“ Gentechnik in Medizin und Chemie bezeichnet, habe längst in unserem Alltag Einzug gehalten. „In jedem Waschmittel steckt Gentechnik in vielfältiger Weise. Auch bei der Lebensmittelherstellung werden Enzyme eingesetzt, die gentechnisch hergestellt werden. Und viele Medikamente, wie Insulin, beruhen auf gentechnischen Verfahren“, informierte die Expertin.

Mit der Genschere CRISPR/Cas9 wurde die Neue Gentechnik jedenfalls zum Thema. Für deren Entwicklung erhielten die beiden Biochemikerinnen Emmanuelle Charpentier (Frankreich) und Jennifer Doudna (USA) im Jahr 2020 den Chemie-Nobelpreis. Die Genschere habe zu vielen wichtigen Entdeckungen in der Grundlagenforschung beigetragen, man sei in der Lage, Nutzpflanzen zu entwickeln, die Schimmel, Schädlingen und Dürre widerstehen, hieß es damals.

Das NGT-Verfahren hat seinen Namensteil CRISPR aufgrund der Abkürzung „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“, was in etwa als Abschnitte sich wiederholender kurzer DNA-Stränge übersetzt werden kann. Ziel des Verfahrens ist es Gene zu addieren oder sie zu entfernen - Cas9 steht dabei wiederum für ein Enzym, dass DNA sozusagen schneiden kann. Der Unterschied zur konventionellen Gentechnik ist der Umstand, dass bei „Gene Editing“ nur pflanzeneigene Gene an- oder ausgeschaltet werden, artfremdes Material bleibt außen vor.

EU-SAGE-Database

Inzwischen sind auf der Datenbank von EU-SAGE über 770 publizierte Studien mit landwirtschaftlich relevanten Anwendungen durch derartiges Verfahren in über 60 unterschiedlichen Kulturpflanzenarten aufgelistet, berichteten die beiden Experten Robert Hoffie und Nicolaus von Wirén vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Gatersleben gegenüber deutschen Science Media Center (SMC).

Aus deren Sicht sind die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Äquivalenz-Kriterien für NGT-1 nachvollziehbar: „Auch Methoden der konventionellen Pflanzenzüchtung können zu solchen genetischen Veränderungen führen, wie sie in den Punkten 1 bis 5 im Annex I aufgeführt sind. (Anmerkung: NGT-1-Pflanzen sind jene, die als substanziell gleichwertig mit konventionell gezüchteten gelten, sofern sie sich nicht durch mehr als 20 genetische Veränderungen in „vorhersehbaren DNS-Sequenzen“ unterscheidet.“

Die Haltung zu Gentechnik außerhalb der EU, so werden in den USA und in Südamerika gentechnisch veränderte Pflanzen, etwa Mais oder Soja, seit Jahrzehnten angebaut - und als Tierfuttermittel auch in die EU importiert. Die EU wiederum argumentiert, mit NGT Nahrungsmittelsicherheit trotz Klimawandel sichern zu können.

Neue AK-Studie warnt vor „nicht immer vorhersehbarer Effekten“

In Österreich ist die Haltung traditionell ablehnend. Das ergaben zuletzt Umfragen und auch die zuständigen Ressorts der Regierung sind zumindest für eine Überarbeitung des EU-Kommissionsvorschlags, wie Umweltministerin Leonore Gewessler, Sozialminister Johannes Rauch (beide Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) erst im Vormonat noch einmal unterstrichen haben.

Eine diese Woche publizierte Studie der Arbeiterkammer (AK) stützt inhaltlich ebenfalls die Kritik, der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission habe zu niedrigere Sicherheitsstandards für NGT-Produkte, unbeabsichtigte und nicht immer vorhersehbare Effekte könnten hier auftreten. Diese könnten „auf unbeabsichtigten genetischen Änderungen beruhen, die durch Zellkultur und Transformationsmethoden hervorgerufen werden, welche unter anderem auch bei der Herstellung von klassischen GVOs verwendet werden“, lautet eines der Bedenken aus der AK-Studie zu NGT-Risiken, die vom Umweltbundesamt erstellt wurde.

Gentechnik
Klimafitte und schädlingsresistente Pflanzen wären der Gewinn, andere Stimmen warnen vor nicht immer vorhersehbarer Effekten, die Wissenschaft warnt vor einer ideologischen Debatte.
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